Schmutzengel
nach Gregs starken Armen.
An dieser Stelle überkommt mich wieder einmal, wie bereits mehrfach in den letzten Tagen, ein hysterisches Kichern. Starke
Arme, ha! Ja, damals hatte ich mich nach starkenArmen gesehnt, damit sie mich festhielten und mir den Eindruck gaben, geliebt und gebraucht zu werden. Heute bräuchte ich
auch ein paar starke Arme – allerdings nicht, um mich zu halten, sondern um das steif gefrorene Problem aus meinem Kofferraum
zu entfernen. Aber davon später.
Greg, der Typ mit den starken Armen, war mein persönlicher Kreativer. Angestellter bei AIQ wie ich, aber einer von der coolen
Sorte. Assistant Art Director. Auf dem Weg nach oben, weshalb er leider relativ wenig Zeit für mich hatte. Zumal unsere Arbeitszeiten,
wie bereits kurz erwähnt, unterschiedlich waren. Ich begann früh und machte gegen sieben Uhr Feierabend, Greg fuhr später
ins Büro und kam dafür oft erst nachts heim. Manchmal sahen wir uns tagelang kaum. Aber ich fühlte mich ihm immer nah, immerhin
wohnten wir zusammen. Ich machte seine Wäsche, bügelte, kaufte seine Zahncreme, sein Duschgel und den Rasierschaum und sorgte
auch sonst dafür, dass er alles hatte, was er brauchte. Nur sein Aftershave kaufte er während seiner zahlreichen Reisen im
Duty-Free-Shop selbst. Kochen musste ich selten, Greg aß meist auswärts, oft mit Kollegen oder Kunden. Zu seiner normalen
beruflichen Belastung kamen die bereits erwähnten, häufigen Reisen. Am Tag der Kündigung war er vier Tage auf Dienstreise,
Entschuldigung, Business Trip, gewesen und musste, laut Plan, irgendwann innerhalb der letzten beiden Stunden zurückgekommen
sein. Zumindest hoffte ich das.
Manche Hoffnungen bleiben besser unerfüllt.
Greg war tatsächlich zu Hause, und er starrte mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an, als ich die Tür hinter mir schloss.
Es war ja auch ungewöhnlich, dass ich mitten am Tag nach Hause kam. Tränen schossen mir in die Augen, meine mühsam aufgebaute
Selbstbeherrschung schmolz dahinwie Eiswürfel im Hochsommer und ich stürzte in seine Arme.
Greg ist der schönste Mann auf der ganzen Welt und – hier kommt ein nicht unwichtiger Faktor für eine Frau von einem Meter
achtzig ins Spiel – er ist groß. Einsneunundachtzig mindestens. Das reicht, ich trage Schuhe mit flachen Absätzen. Außerdem
ist er zur Hälfte Amerikaner und zu einem Viertel Spanier. Er sieht ein bisschen aus wie eine größere Ausgabe von Antonio
Banderas, finde ich. Greg findet das auch. Er ist sehr eitel, aber das darf er bei all seinen Vorzügen natürlich auch sein.
Er schloss seine starken Arme um mich, vielleicht mit einer kleinen Verzögerung, aber das bemerkte ich damals in meiner Aufregung
nicht. Es fiel mir erst später wieder ein, als ich mir die tragischen Momente des Tages wieder und wieder vor Augen führte
und mich in masochistischen Anwandlungen fragte, an welcher Stelle ich die Notbremse hätte ziehen können. An keiner Stelle,
weiß ich heute.
Greg also hielt mich in seinen hanteltrainierten Armen und murmelte so unsinnige Dinge wie »schschsch… wer wird denn gleich
weinen?« in mein Haar. Mein langes, blondes Haar, das eigentlich zu fein war, um es wirklich lang zu tragen. Greg allerdings
liebte langes Haar, deshalb hatte ich es wachsen lassen. Als wir so eng umschlungen mitten im Wohnzimmer unserer Wohnung standen,
wickelte er eine Strähne um seine Finger.
Vermutlich nahm er Abschied. Von meinem Haar.
Der Abschied von mir kam geschätzte siebzehn Sekunden später, als eine mir unbekannte Person weiblichen Geschlechts aus unserem
Schlafzimmer kam und nuschelte: »Wann kommst du denn endlich, ich bin schon fast …«
… eingeschlafen, vollendete ich automatisch den Satz in Gedanken.
Und als Zweites sagte mir mein grundsätzlich pragmatisch denkendes Hirn: Ich muss Oma anrufen und fragen, wie ich die Make-up-Spuren
aus meinem Kopfkissenbezug entfernen kann.
Greg stellte uns charmant vor, besser gesagt stellte er mich vor. Er sagte: »Sue, das ist Corinna, von der ich dir erzählt
habe.« Andersherum hätte es auch nicht so gut geklungen: »Corinna, das ist Sue, von der ich dir bisher noch nichts erzählt
habe.«
Ich sagte nichts, starrte die Erscheinung einfach nur an. Sprachlos, gefühllos, fassungslos.
Sue sah zum Anbeißen aus. Sie trug nur ein Hemd, und zwar ausgerechnet Gregs Lieblingshemd, das ich zu einem obszönen Preis
in einer angesagten Boutique erstanden
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