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Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Titel: Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Witzel
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seinem unverwechselbaren Fernseh-Sächsisch ausdrückt – »mit Inbrunst«. Ein halbes Jahr lang holte man deshalb sogar noch einen Bullen aus Niedersachsen, der dem vietnamesischen Ossi Mekong mal zeigen sollte, wo es langgeht. Calvin war bekannt dafür, dass er keine Verwandten kennt. In Wahrheit hatte man ihn aus dem Zoo Hannover sogar abgeschoben, um weitere Inzucht mit den eigenen Töchtern zu unterbinden. Doch bis auf heiße Luft kam auch von diesem West-Import nicht viel. In Ostrava dagegen, einer Art zoologischem Billig-Puff hinter der deutsch-tschechischen Grenze, deckte er wenig später gleich zwei Kühe, pikanterweise auch dort Mutter und Tochter.
    Vor ein paar Monaten nun, das war die vorletzte Nachricht aus Rhanis trauriger Familie, wurde Mekong, Vater des kleinen Fernseh-Stars Voi Nam und treuer Gefährte von Trinh, ebenfalls nach Tschechien deportiert. Zum Tausch gegen den stattlichen Bullen schickte der Prager Zoo einen kleinen verwachsenen Freier für die Futtermittel-Werbe-Kuh. Trinh konnte darüber anfangs noch lächeln: Wie sich herausstellte, trug sie ein Abschiedsgeschenk von Mekong unter ihrem Elefantenherzen. Wäre es nach den Eltern gegangen, hätte ein Mädchen bestimmt Rhani geheißen. Das Kleine war allerdings schon tot, als man die Nachricht stolz der Presse verkündete. Trinh verscharrte es nachts im Sand – das letzte Andenken an Rhani und ein beengtes, aber überschaubares Leben hinter Mauern, ein winziger Embryo mit Rüssel, kaum zu unterscheiden vom Dung der West-Kühe.
     
    P.S. Aus Pietät bitte ich diesmal von respektlosen Kommentaren abzusehen. Und bitte, liebe Besserwisser, gar nicht erst googeln, die Magdeburger Verwandten mit dusseligen Fragen belästigen oder ein neues Doktoranden-Thema am Heidelberger Lehrstuhl für Ost-Zonen-Folklore einreichen: Anders als die Lebensgeschichte der unvergessenen Rhani war der traditionelle Oster-Subbotnik ausnahmsweise nur Quatsch (siehe Seite 106).

»Denn wenn jemand meint, er sei etwas,
obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst.«
    Paulus an die Galater 6,3
     

Vier Panzersoldaten und ein Hund
     
    Wenn einer schon Ludger heißt und aus dem Münsterland stammt, kann er sich noch so sehr bemühen: Westdeutsche werden das nie los. Warum versuchen sie es trotzdem? Ein Rätsel.
     
    Mein zweitbester bester Freund heißt Ludger und ist – das gebe ich hier weitgehend schamlos zu – auch einer von ihnen. Er kann nichts dafür, müht sich seit 19 Jahren redlich um Assimilation und doch fehlt uns beiden zum Beispiel die überwältigende Erfahrung, Seite an Seite auf einem Topf gesessen und mit aller Kraft den Plan der sozialistischen Sauberkeitserziehung erfüllt, ja übererfüllt zu haben, wie ich sie mit meinem erstbesten besten Freund seit der gemeinsamen Zeit in einem Kinderkrippenkollektiv teile.
    Laut empirischer Windelforschung brauchen Kinder im Westen bis heute länger dafür. Der lange Weg aufs Klo ist sicher vergleichbar mit den altmodischen 13 Jahren bis zum West-Abitur, vielleicht aber auch nur ein Werbeerfolg der Pampers-Industrie. Den werktätigen Müttern der DDR gaukelte niemand vor, ein Kinderhintern müsse nicht vor der Konfirmation trocken sein, sondern sich lediglich so anfühlen. Diesbezüglich ist sogar Ludger, 44, indessen aus dem Gröbsten raus. Sein – unser – Problem ist ein anderes.
    Seit er 1991 mit etlichen anderen Journalisten zu ersten Feldstudien in den besetzten Gebieten einfiel, will er unbedingt so werden wie die Leute dort. Anfangs fand ich das noch rührend, etwas befremdlich vielleicht, aber wir haben so auch viel voneinander gelernt. Ich half ihm, nicht sofort überall unangenehm aufzufallen. Im Gegenzug erklärte mir Ludger, ein studierter Volkswirt, komplizierte Dinge aus seiner Welt, den seltsamen Kreislauf der Mehrwertsteuer zum Beispiel, oder wie die so genannte Gewaltenteilung eigentlich funktionieren sollte. Heute glaubt er daran selbst nicht mehr.
    Anders als ich wählt er die linke Stasipartei, hat sich von der Allmacht des freien Marktes emanzipiert und versucht sich sogar so anzuziehen, wie er glaubt, dass sich Ostdeutsche anziehen. Er liest Bücher über DDR-Kinder-Fernsehserien, kennt jeden Star dieser Pittiplatsch -Republik und erwartet bei jeder Gelegenheit Prüfungsfragen wie zum Einbürgerungstest. Na los, verlangt er dann, frag mich ab: Wie heißt der Hund aus Vier Panzersoldaten und ein Hund ? Wie viel PS hat ein Trabi? Wer war noch mal IM Notar?
    Ludger aus Telgte

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