Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)
aber – und das ist ein schmales Brett – wollte ich nie im falschen Regal landen, bei Ost-Koch-Büchern, Kathi Witt oder Pittiplatsch. DDR-Nostalgie ist nicht lustig, der Westen schon. So redeten wir noch ein wenig in verschiedenen Sprachen über das Gleiche, meinten aber etwas völlig anderes. Am Ende ließen sie sich von den Lizenzgebühren abschrecken, die für ostdeutsche Sand-und Ampelmännchen an westdeutsche Agenturen und Lizenzinhaber zu zahlen sind – und ich schluckte den Boxhandschuh. Vielleicht ist das ja Signal genug für schlichte Leser im Westen, wenn sie etwa an die ostdeutschen Rummelboxer Maske und Schultz denken. Mich tröstet der Stinkefinger. Und um den Eindruck des undankbaren Mecker-Zonis zu vermeiden, möchte ich mich an dieser Stelle auch mal bei allen Beteiligten namentlich bedanken: Bei Dr. Lutz Kinkel und Frank Thomsen von stern.de , bei Hannah Blut, Helmut Kohl und meinen Eltern, dass ich kein Westdeutscher geworden bin. Bei meiner Frau, meinen Söhnen und Michael Gorbatschow für alle Möglichkeiten. Und für alles Mögliche bei meinem zweitbesten Freund Ludger aus dem Münsterland und meinem erstbesten Michael. Bei Mirco, Guido und Gerard.
Ursprünglich war es nur ein Wutanfall im November 2009, der schnell zu einer unregelmäßigen Kolumne ausartete. Einige richtig wütende Stamm-Leser spornten mich immer wieder an. Auf der Herkunft dieser Leute möchte ich im Sinne der deutsch-deutschen Versöhnung nicht mehr groß herumreiten. Die meisten dort können nichts für ihre beschränkte Sicht: Wenn einer den Westen doof findet, so der Reflex, wünscht er sich automatisch die DDR zurück. Dazwischen nichts. Selbst falsche Freunde und echte Kollegen waren ernsthaft beleidigt, wenn sie sich in einem Halbsatz über Ost-Mopedfahrer aus dem Prenzlauer Berg wiedererkannten. Gern würde ich jetzt sagen, dass dies keine Absicht war, aber mir nichts auszudenken, womöglich etwas Falsches zu schreiben, war alles, was ich mir an typisch westdeutschem Ehrgeiz für diese Pamphlete erlaubte.
Traurige Fakten lassen sich nicht so leicht vom Tisch wischen wie lustige Halbwahrheiten. Deshalb gab es bisher auch keine nennenswerten Beschwerden, außer dass mich der 16-Prozent-Bürgemeister meiner Heimatstadt Leipzig – dessen Heimatstadt eigentlich Siegen ist – durch seinen Pressesprecher wegen einer angeblich zu »einseitigen Perspektive« bei meiner Verlagsleitung anschwärzen ließ. Aber sonst – das muss man ihnen wirklich zugestehen – halten Westdeutsche einiges aus: So lange sich etwas verkauft oder im Internet heftig geklickt wird, lassen sie sich sogar gern beschimpfen. Es mag keine menschliche Größe sein, sondern eher eine berechenbar berechnende, aber egal: Selbst dafür war die DDR zu klein.
Einmal war die Kolumne sogar für einen westdeutschen Journalisten-Preis nominiert, zwar in der Kategorie »Humor« statt »Dokumentation« – also wieder in der falschen Ecke –, aber plötzlich klopften mir West-Kollegen und Genossen vom Eulenspiegel-Verlag gleichzeitig auf die Schulter. Ich schämte mich. Für beides. Offenbar kann man in einer pluralistischen Gesellschaft sogar mit je einem Bein in verschiedenen falschen Ecken stehen.
Nun erscheinen die Texte in einem Verlag, wo sonst nur Erz-Wessis wie Norbert Blüm, Joachim Fuchsberger oder Mehmet Gürcan Daimagüler veröffentlichen. Und ich bin auch hier nicht sicher, ob das die richtige Ecke ist. Wenigstens verlegen sie auch Gesangbücher, und vielleicht kann man mit diesem Büchlein ja auch ein paar Feinden eine Freude machen. Dem importierten Chef zum Beispiel. Oder Verwandte und Freunde in der Diaspora trösten. Lasst Euch die so genannte Mauer in den Köpfen nicht ausreden – die nicht auch noch! Historisch war Deutschland selten ein einiges Land, und wenn es jemand erzwingen wollte, ging es nie lange gut.
Ob Yankees und Rednecks, Korea oder Europa – es muss immer einen reicheren Teil geben und einen, der nachgibt, scheinbare und moralische Sieger. Hierzulande, das ist der Unterschied, haben wir vor 22 Jahren die Rollen getauscht. Nur darum ging es 1989, der Westen hat es bloß noch nicht gemerkt. Und was soll man dazu sagen, wenn nicht: Schnauze, Wessi!
Holger Witzel
Leipzig, März 2012
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