Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)
übergriffig geworden waren, bevor man sie nach Sachsen abschob, wo sie weiter »Jugendarbeit« leisten durften. Wenn gegen die Chefin des sächsischen Landesamtes für Statistik wegen Untreue ermittelt wird, erfährt man zwar, dass sie öffentliches Geld für private Fortbildungen verwendet haben soll und dies hartnäckig bestreitet – aber nicht, dass sie aus Bayern nach Sachsen kam, was nicht gerade zu ihrer Entlastung beiträgt. Ob sie mit Kinderpornos erwischt werden wie ein Amtsrichter in Löbau oder der Brandenburger Landrat, der eigentlich aus Rheinland-Pfalz stammt. Ob der Sportchef des MDR öffentlich-rechtliche Sendezeit auf eigene Rechnung verkauft, sein Handwerk aber lange vor der Karriere im Osten beim WDR gelernt hat – niemand zieht diese Leute zusätzlich wegen Rufschädigung zur Verantwortung. Selbst die führenden Neonazis waren und sind allesamt West-Importe. Aber so kennt man das: Wenn René Adler die Nummer Eins der Nationalmannschaft wird, ist er »Leverkusener«, wenn er einmal zu weit aus dem Tor läuft – wieder »der Leipziger«.
Sicher darf man das nicht verallgemeinern: Nicht alle Mitbürger mit westdeutschem Migrationshintergrund sind deshalb gleich kriminell. Es ist wohl eher so wie bei Straftätern, die in Polizeiberichten gern als Südländer bezeichnet werden. Oft können diese oder jene Menschen gar nichts dafür. Sie sind in einem Kulturkreis mit völlig anderen Wertvorstellungen aufgewachsen. Eigennutz und ein ehrgeiziges Verhältnis zu Privateigentum und Karriere gelten dort als Tugend. Das überfordert zuweilen den Charakter.
Der Leipziger Oberbürgermeister soll zum Beispiel mal ein guter Lehrer gewesen sein. Nachdem ihm Experten das ganze Ausmaß der kriminellen Geschäfte seiner städtischen Manager erklärt hatten, warfen sich seine ehemalige Finanzdezernentin und er erstmal gegenseitig Aufsichts-Versäumnisse vor. Die CDU-Frau, geboren in München, vertritt unsere Stadt inzwischen als Finanzexpertin im Bundestag, während sich der SPD-Oberbürgermeister auch schon mal mit dem Hinweis vorstellt, dass er ja eigentlich aus dem Siegerland stammt. Vermutlich meint er das rein geografisch, aber in seiner Karriere-Wahl-Heimat kommt das trotzdem nicht mehr so gut an.
Unter seiner Führung will die Stadt jetzt die Schweizer Bank verklagen, die den Deal mit den Wasserwerken gedeichselt hat, und die internationale Finanzwelt lacht sich einmal mehr schlapp, wie man diese Ostdeutschen immer noch über den Tisch ziehen kann. Aber damit ist nun Schluss: Die neuen Geschäftsführer der Wasserwerke gelten als ausgewiesene Fachleute – schon weil sie aus Hamburg und Niedersachsen stammen.
»Ein Elefant vergisst nie«
Indisches Sprichwort
Mobbing in den Tod
Nicht nur Menschen leiden stumm unter den Besatzern. Auch in ostdeutschen Zoos spielen sich Dramen ab, die es in dieser Härte vor der Wiedervereinigung nicht gab. Eine Tierparabel.
Beim traditionellen Subbotnik am Ostersamstag – einem selbst unter ausgewiesenen westdeutschen Zonen-Experten bisher relativ unbekannten Ritual, das sich nicht schnöde mit Frühjahrsputz übersetzen lässt – fiel mir ein zwei Jahre alter Zeitungsausschnitt in die Hände. Es geht darin um die Elefantenkuh Rhani, die der Leipziger Zoo im Juni 2008 einschläfern ließ. Und man braucht vielleicht schon einen besonders sensiblen Rüssel, um das innerdeutsche Drama hinter Rhanis Schicksal zu erkennen.
Mich hatte die Todesnachricht zunächst auch nur aus persönlichen Gründen aufgewühlt. Immerhin sind wir zusammen aufgewachsen, Rhani und ich. Wir haben beide einen Großteil unseres Lebens hinter Mauern verbracht, die unglückliche Rhani sogar bis zuletzt, nachdem sie 1980 bei einem Fluchtversuch in den Graben der alten Elefantenanlage gestürzt war. Die Leipziger Volkszeitung würdigte sie in dem Artikel mit einer Art Nachruf als »ältesten Bewohner« des Zoos und zeichnete ihre 55 Lebensjahre grob nach.
Rhani war der letzte indische Elefant in Leipzig, der Indien noch mit eigenen Augen kannte. Sie kam 1956 – wie die Zeitung schrieb – »als Wildfang« in die DDR. Möglicherweise spekulierte die junge indische Regierung mit dem Geschenk auf billige Werkzeugmaschinen, aber das ist jetzt reine Spekulation. Im Gegensatz zu mir war Rhani in den siebziger Jahren jedenfalls schon ausgewachsen und ich weiß noch, dass man sie stets an ihrem dicken Rüssel von den anderen Elefanten unterscheiden konnte. Wie bei vielen von uns kam
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