Schnee an der Riviera
Argentinien, die Eltern Italiener. Es hat ein wenig gedauert, ihn ausfindig zu machen, weil er eine Gesichtsoperation hat vornehmen lassen. Seine Fingerabdrücke waren jedoch bei Interpol registriert. Er war Drogenhändler mittleren Kalibers, der seiner Festnahme durch Flucht nach Kolumbien vor einigen Jahren entging. Er wurde schon lange gesucht, schien verschwunden zu sein, wie in Luft aufgelöst. Nun ist er endgültig verschwunden. Und mit ihm viele Geheimnisse.«
Nelly hatte die letzten Sätze schweigend angehört und dachte über die Neuigkeiten nach.
»Verbrannte Erde. Immerhin haben wir den berühmten Mikrochip. Und das wissen die nicht. Es sei denn ...«
Tano sah sie erstaunt an.
»Es sei denn?«
Nelly berichtete haarklein von ihrer Unterredung mit Santangelo. Der Polizeivize hörte ihr gespannt zu, ohne sie zu unterbrechen oder etwas einzuwerfen.
Als sie fertig war, machte sich ein Schweigen im Raum breit, das lange andauerte, zumindest schien es ihr so. Schließlich stand Tano Esposito auf und trat ans Fenster, mit dem Rücken zu ihr. Er dachte nach. Dann fasste er einen Entschluss. Er drehte sich um und sah sie an.
»Commissario Santangelo ist ein wenig unorthodox, doch bisher war er immer sehr effizient. Seine Vorgehensweise ist, wie soll ich sagen, schwierig zu interpretieren, im Übrigen bewegt er sich auf einem ganz speziellen Terrain. Ich habe schon so einiges über ihn gehört ... natürlich nur gerüchteweise. In gewisser Hinsicht ist er ein Kapitel für sich, das nun in unsere Ermittlung hineinreicht. Unbekannte Welten, irgendwie. Und was den Chip angeht, so viel er auch wert sein mag, solange sein Inhalt nicht dechiffriert werden kann ... Aber wir wollen nicht den Mut verlieren, unser Bianchi und sein Team sind wahre Computer-Freaks. Was Santangelo betrifft, ich werde mich um ihn kümmern. Und nun wollen wir Feierabend machen, Nelly. Ich habe den Eindruck, dass Sie etwas Ruhe gebrauchen können. Wir sehen uns morgen.«
ACHTER TAG
Abend
Nelly, Carlo und Mau saßen auf der kleinen Terrasse über der Uferpromenade von Nervi, wo sie ein schnelles, leckeres Abendessen eingenommen hatten – pasqualina und cima , die typische Genueser Blätterteigtorte und kalte gefüllte Kalbsbrust, dazu einen gemischten Salat –, zubereitet selbstverständlich von Carlo. Keiner hatte große Lust zu reden. Nur Carlo versuchte hin und wieder, das bleierne Schweigen zu brechen. Die hellen Leuchten der Nachtfischer glitzerten auf dem dunklen Meer in einer mondlosen Nacht.
»Heute sind wir eine Runde durch den Park gejoggt und waren dann im Meer schwimmen. Das Wasser ist noch ziemlich kalt, aber danach fühlt man sich wie neugeboren. Dein Sohn ist ein großartiger Schwimmer. Ich kam fast ein bisschen außer Atem.«
»Ach was, bei einem alten Mann wie dir braucht es nicht viel dazu«, frotzelte Mau.
»Das nächste Mal lasse ich dich nicht so leicht gewinnen, um dich aufzubauen«, gab Carlo provozierend zurück.
Nelly fühlte sich kaputt, kraftlos. Der Morgen des Unglücks an der Schule schien Ewigkeiten zurückzuliegen, ihr früheres Leben in einer Art Traum zu verschwimmen. Selbst der Cappuccino bei Beppe nahm mythische Züge an, als sei er Teil des verlorenen Paradieses. Sie saß zurückgelehnt und mit geschlossenen Augen in dem kleinen Korbsessel. Die Männer sahen sich erstaunt an. Das war ein ungewohntes Verhalten für sie. Dann, während sie an ihrem Orangensaft mit Weißwein auf Eis nippte, wandte Nelly sich plötzlich an ihren Sohn:
»Was hat Monica wegen des Kokains gesagt, das sie dabeihatte, als sie Franci an jenem Morgen um Hilfe bat?«
»Sie meint, sie hätte ihn um nichts gebeten, wie oft soll ich das noch sagen. Sie behauptet, sie hatte nichts dabei, das sei alles Quatsch, sie wisse nicht, warum er mir so etwas erzählt hat.«
»Aber du glaubst ihr nicht so richtig, sagtest du auch. Wenn sie ihn wirklich nicht gefragt hat, warum sollte Franci lügen und dieses Ablenkungsmanöver starten? Das ihn dann das Leben gekostet hat?«
»Ich weiß es nicht, Ma. Ich weiß es wirklich nicht. Monica könnte doch etwas dabeigehabt haben und es nur nicht zugeben wollen ...«
»Hatte sie aber nicht. Beide Mädchen wurden von den Drogenhunden kontrolliert, bevor sie hinausgingen. Sie hatten nichts dabei, weder sie noch Miriam. Nicht das kleinste bisschen Rauschgift.«
Nun war es an Mau zu schweigen, und die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Die Fragen, die Zweifel.
»Mama, ich möchte sie
Weitere Kostenlose Bücher