Schnee an der Riviera
zu Hause?«
»Alle außer Filippo Maria, der ist gerade für drei Monate in London, um seinen Master zu machen.«
»Gut. Ich fahre ins Präsidium. Sollten Sie etwas hören, sollte Monica sich melden, sagen Sie mir bitte umgehend Bescheid.«
»Selbstverständlich, Dottoressa.«
Gianandrea klang überraschend ergeben.
»Ciao, Nelly.«
Federica verabschiedete sie mit einem flehenden Blick.
»Bring sie mir zurück«, sagten ihre Augen. Unter ihrer harten Schale hatte Federica stets einen wunden Punkt gehegt, ihre verzweifelte Liebe zu dieser Tochter, die so gänzlich anders war als sie selbst.
Gefolgt von einem noch immer völlig bedripsten Lombardo, verließ Nelly das Haus. Er hatte geglaubt, es handelte sich um einen simplen Routineeinsatz, und das Mädchen hatte ihn an der Nase herumgeführt. Er ließ ein kleinlautes Seufzen hören.
Es war bereits Mittag. Nelly rief Carlo an, stieg in den Bus und fuhr zu ihm nach Nervi. Sie beschloss, dem Polizeivize erst am Nachmittag Bericht zu erstatten. Sie musste sich noch über einiges klar werden, und außerdem wollte sie Carlo sehen. Während der 17er auf der Busspur den Corso Europa entlangsauste, stellte Nelly überrascht fest, dass der Himmel wieder blau geworden war und die Gärten, Häuser und kahlen Berge, wie von unsichtbarer Hand aufgefrischt, allmählich wieder in den gewohnten Farben strahlten.
Diese Straße war ein echter Schandfleck. Sie war in den Sechzigern gebaut worden, ohne Rücksicht auf die Entwicklung der Stadt und ihren Verkehr, viel zu kurvig, teils regelrecht lebensgefährlich, und das nur – so hieß es zumindest –, um den Baugrund einiger Spekulanten anzubinden. Jedenfalls hatten sich einige Kurven im Laufe der Jahre als tödlich erwiesen. Die Gebäude waren größtenteils hässlich und dennoch unbezahlbar: Sie sahen aus wie Mietskasernen, doch angesichts der schönen Lage und der Nähe zum Meer kosteten sie ein Vermögen. Viele waren inzwischen heruntergekommen, was ihre marode Hässlichkeit und billige Bauweise nur noch unterstrich. Zudem standen sie so dicht an der Straße, dass es schier unmöglich war, die Spuren zu erweitern und den veränderten Verkehrsbedingungen anzupassen. Genua war wie ein Buddelschiff, man kam nicht raus, weder nach Westen noch nach Osten. Wie hatte Roberto Genua einmal genannt? Ach ja, »die zugekorkte Stadt«. Da war etwas Wahres dran.
In Nervi bog der 17er in die enge Via del Commercio, und auf der kleinen Piazzetta, von der aus die Via degli Aranci zum Bahnhof abging, stieg Nelly aus und lief zur Uferstraße hinunter. Mein Gott, war das herrlich! Corso Europa und das Verkehrschaos waren wie weggewischt. Sie vergaß jedes Mal, wie schön die Uferstraße in Nervi war, denn wenn Carlo nicht da war, kam sie nie hierher. Carlo wohnte direkt an der Uferpromenade in einem in typisch ligurischen Farben sanierten Haus: Rosa mit dunkelgrünen Fensterläden, mit kleinen begrünten Terrassen und Balkonen. Obwohl seine Wohnung nicht groß war – eine charmante Dreizimmerwohnung mit Küche und Bad –, hatte sie ihn eine Stange Geld gekostet, doch der Kapitän liebte das Meer, zudem hatte er in der kleinen Bucht am Ende der Promenade sein Boot liegen, konnte nach Herzenslust im Meer baden, auch wenn das Wasser nicht immer ganz sauber war, oder im kleinen Hafen ins Schwimmbad gehen. Nelly klingelte, hin und her gerissen zwischen genüsslicher Vorfreude und Unruhe über die jüngsten Entwicklungen des Falles, über Monicas Verschwinden, die ihrer Ansicht nach in ernster Gefahr war. Carlo erschien auf dem Balkon, winkte zu ihr hinunter, und die Tür sprang auf. Nelly stieg in den dritten Stock, und Carlo zog sie in die Tür und schloss sie freudig in die Arme.
»Ich habe dir gegrillten Seebarsch mit neuen Kartoffeln gemacht«, verkündete er stolz.
»Was für ein Mann, ein echter Heiratskandidat!«, lachte Nelly.
»Stimmt, ich bin ein perfekter Hausmann. Alle Seeleute sind so: selbstständig und gute Köche.«
»Die sind aber auch noch für was anderes berühmt«, witzelte sie, »ein Mädchen in jedem Hafen ...«
Er lächelte verschmitzt.
»Wenn du wüsstest, was für eine ich als Letztes aufgerissen habe, eine hinreißende Eskimobraut, die nachts zu mir an Bord kam, während ich an den Küsten Grönlands entlangschipperte, vor lauter Pelz und Fell habe ich nie ihr Gesicht gesehen, wahnsinnig aufregend! Nur schade, dass mir irgendwann aufgefallen ist, dass ich mit einem Eisbären gevögelt habe, aber da war es
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