Schnee an der Riviera
schon zu spät!«
Nelly prustete los. Die Vorstellung, wie Carlo sich mit einem Eisbären in der Koje rollte, war einfach zu komisch.
Das großzügige, aus zwei zusammengelegten Räumen bestehende Wohnzimmer grenzte an die kleine Küche und ging auf den Balkon hinaus, der trotz der Uferpromenade direkt über dem Meer zu hängen schien. Niedrige, mit orientalischen Stoffen bedeckte Sofas, auf denen Kissen aus aller Welt lagen, Perserteppiche, arabische Beistelltischchen, Masken, afrikanische Waffen und Skulpturen, eine große Trommel, ein Lamafell, jedes Land, das Carlo auf seinen Reisen besucht hatte, war in diesem Zimmer vertreten, das trotz der häufigen Abwesenheit seines Bewohners lebendige Gemütlichkeit ausstrahlte. Aus der Küche duftete es köstlich. Auf dem niedrigen Tisch standen zwei Punt e Mes und verschiedenste Sorten Oliven. Nelly ließ sich auf das Sofa fallen und kippte ihren Aperitif hinunter.
»Noch einen, bitte«, murmelte sie und sank gegen die Lehne.
»Zu Befehl, Commissario«, sagte Carlo eilfertig.
Während sie aßen und Nelly besonders den Fisch genoss, den sie sich zu kochen nie zutraute, gab sie ihm einen kurzen Abriss der Situation. Schweigend und ganz auf den Fisch oder ihre Schilderung konzentriert, hörte Carlo zu.
»Was für ein Chaos!«, sagte er schließlich beim Kaffee.
»Ganz recht. Ich mache mir Sorgen um Monica. Und Mau fehlt mir«, schloss Nelly fast kleinlaut.
»Ich halte es für ganz richtig, dass er nicht hier ist.«
»Ja, ich weiß. Aber ich hab das Gefühl ... ich weiß nicht, zu hinken oder nur eine Hand zu haben. Als hätte man mir was amputiert.«
»Übertreibst du nicht ein bisschen?«
Carlo sah sie streng an.
»Mau ist kein Kind mehr, Nelly, er ist ein junger Mann, auch wenn du ihn noch immer als kleinen Jungen sehen willst. In seinem Alter bin ich das erste Mal ausgelaufen, und das war keine Kaffeefahrt. Das war auf einem Öltanker, der um die halbe Welt geschippert ist. Jeder, der mir hätte reinreden wollen, hätte eins aufs Maul gekriegt. Ich hab eine Menge Fehler gemacht und dafür geradegestanden. Aber bereut habe ich eigentlich nichts, mein Leben hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Hat mich Verantwortung gelehrt. Wie man so schön sagt. Nicht immer laufen die Dinge glatt, wenn man jung ist und ganz auf sich selbst gestellt. Aber ich war Waise und hatte keine Wahl.«
Nelly schwieg nachdenklich. Wenn ihre Gefühle sie mitzureißen drohten, schaffte Carlo es immer, sie wieder auf den Teppich zurückzuholen. Dafür war sie ihm dankbar. Es war heilsam, sich von ihm den Kopf zurechtrücken zu lassen, auch wenn sie manchmal heftig darauf reagierte. Auch diesmal musste sie zugeben, dass er recht hatte.
»Schon wahr, aber dass Mau mir fehlt, hat nichts damit zu tun, dass er nicht hier an meinem Rockzipfel hängt. Es ist die Gefahr, die ich nicht einschätzen kann, und die Ungewissheit darüber, was für eine Rolle er in der ganzen Sache spielt. Ich ... ich spüre, dass mein Sohn mir etwas verheimlicht hat. Ich hab mir das bisher nicht eingestehen wollen, aber dieser Gedanke macht mich schier verrückt vor Angst. Da tut sich eine Leere vor mir auf, in der es nur mein Scheitern gibt.«
»Selbst wenn es so wäre und er dir etwas verheimlicht hätte, müsste man erst einmal feststellen, warum, und es ist nicht gesagt, dass es nicht gute Gründe dafür gibt.« Sie wollte ihm ins Wort fallen, doch er hielt sie mit einer Handbewegung zurück. »Ich will damit nur sagen, dass sich die ganze Angelegenheit für ihn womöglich vollkommen anders darstellt. Auch das zeigt, dass er erwachsen wird. Ab und zu solltest du deinen Mitmenschen vertrauen, Nelly. Zumindest denen, die dich lieben.«
»Willst du damit sagen, dass ich niemandem traue außer mir selbst?«
»Dir selbst und vielleicht noch deinem Assistenten Gerolamo, den ich allerdings nicht kenne.«
»Das hat gesessen. Ich bin so platt, dass ich noch nicht mal sauer werden kann. »
Ihre nussbraunen Augen wurden immer größer und ihre Stirn legte sich in Falten. Carlo kam ihr zuvor.
»Ich will dich weder provozieren noch verärgern, Liebste. Das liegt mir mehr als fern. Ich will nur sagen, dass Mau ein großer, charakterfester Junge ist, der dich wahnsinnig liebt. Und Gut von Böse unterscheiden kann. Das solltest du nicht vergessen. Vertrau ihm.«
»Du hast gut reden. Gut von Böse ... aber wenn selbst uns Erwachsenen das manchmal nicht gelingt! Außerdem hast du nicht diese schreckliche Verantwortung,
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