Schneemann
wie in Macho. Arve Stop.” “Arve Stop?”, platzte Holm heraus. “Der Arve Stop?”
“Setz ihn auf die Liste der Leute, die wir besuchen sollten”, bat Harry.
Als sie fertig waren, hatten sie eine Liste mit sieben Gesprächen.
Sie hatten jeder Nummer einen Namen zuweisen können, mit einer Ausnahme: ein Anruf aus einer Telefonzelle im Storosenteret, am Vormittag des Tages, an dem Idar getötet worden war.
“Wir haben doch die genaue Uhrzeit”, überlegte Harry. “Gibt es in der Nähe der Telefonzelle wohl eine Überwachungskamera?” “Ich glaube nicht”, antwortete Skarre. ” Aber ich weiß, dass an allen Eingängen Kameras hängen. Ich kann bei der Wachgesellschaft ja mal nachfragen, ob die die Aufnahmen haben.” “Überprüf alle Gesichter, plus minus eine halbe Stunde rund um den Anruf”, befahl Harry.
“Das wird aber nicht leicht”, meinte Skarre.
“Rat mal, wen du da am besten fragst”, sagte Harry. “Beate Lonn”, mischte sich Holm ein.
“Korrekt, grüß sie von mir.”
Holm nickte, und Harry spürte einen Anflug von schlechtem Gewissen.
Skarres Telefon spielte “There She Goes” von The Las.
“Die Vermisstenstelle”, verkündete Skarre und nahm das Gespräch entgegen.
Alle starrten ihn an, während er sein Ohr ans Handy presste.
Harry dachte, dass er Beate jetzt lange genug nicht angerufen hatte. Seit seinem Besuch auf der Entbindungsstation war er nicht mehr bei ihr gewesen. Er wusste, dass sie nicht ihm die Schuld an Halvorsens Tod im Dienst gab. Aber für ihn war das alles ein bisschen viel gewesen: Halvorsens Kind zu sehen, das Baby, das der junge Beamte selbst nie zu Gesicht bekommen hatte, und dabei tief in seinem Inneren zu wissen, dass Beate sich irrte. Er hätte Halvorsen retten können - nein, retten müssen.
Skarre legte auf.
“0ben in Tveita ist eine Frau von ihrem Mann vermisst gemeldet worden. Camilla Lossius, neunundzwanzig Jahre, verheiratet, keine Kinder. Es ist erst ein paar Stunden her, aber es gibt ein paar Einzelheiten, die Grund zur Beunruhigung geben. Auf der Anrichte steht eine Einkaufstüte, aber es ist nichts in den Kühlschrank geräumt worden. Das Handy ist noch im Auto, und laut ihrem Ehemann geht sie sonst nicht ohne aus dem Haus. Und außerdem hat einer der Nachbarn dem Ehemann erzählt, er hätte einen Mann um das Haus und die Garage schleichen sehen, der auf irgendetwas zu warten schien. Der Ehemann kann noch nicht sagen, ob etwas fehlt, nicht einmal, was Toilettensachen oder Taschen angeht. Das sind so Leute mit einem Häuschen bei Nizza. Die haben so viel Kram, dass sie gar nicht merken, wenn was fehlt, wenn ihr versteht, was ich meine.”
“Hm”, machte Harry, “was meint die Vermisstenstelle?” “Dass sie wieder auftaucht. Sie melden sich dann wieder.” “Okay”, sagte Harry, “dann machen wir weiter.”
Während der ganzen weiteren Besprechung kommentierte keiner die Vermisstenmeldung. Harry spürte trotzdem, dass sie in der Luft lag, wie ein ferner Donner aus Wolken, die - vielleicht - in ihre Richtung zogen. Nachdem sie die Personen auf der Telefonliste, die sie kontaktieren mussten, unter sich aufgeteilt hatten, verließ die Gruppe Harrys Büro.
Harry trat wieder ans Fenster und sah hinunter in den Park. Die Dunkelheit kam jetzt immer früher, man spürte das mit jedem Tag, der verging. Harry musste an die Reaktion von Idar Vetlesens Mutter denken, als er ihr erzählt hatte, ihr Sohn habe den afrikanischen Prostituierten nachts gratis ärztliche Hilfe geboten. In diesem Moment hatte sie zum ersten Mal ihre Maske abgelegt - nicht aus Trauer, sondern aus Wut - und geschrien, das sei eine verdammte Lüge, ihr Sohn hätte sich niemals mit Negerhuren abgegeben. Vielleicht sollte man manchmal doch lieber lügen. Harry dachte daran, dass er tags zuvor dem Kriminalchef gesagt hatte, das Blutbad sei erst einmal vorüber. Aber dort unten konnte er ihn noch ganz schwach im Dunkel erkennen. Es kamen jetzt häufig Kindergartengruppen in den Park, insbesondere wenn es geschneit hatte, wie in der letzten Nacht. Das war jedenfalls sein erster Gedanke gewesen, als er am Morgen zur Arbeit gekommen war und den großen, grauweißen Schneemann gesehen hatte.
Über den Redaktionsräumen der Zeitschrift Liberal in Aker Brygge lagen die 230 teuersten in Privatbesitz befindlichen Quadratmeter der Stadt, mit guter Aussicht über den Fjord, die Akershus-Festung und Nesoddtangen. Sie gehörten dem Verleger und Chefredakteur Arve Stop. Oder
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