Schneenockerleklat
Betrages selbst kurzfristig keine großen Probleme machen.
Das Stichwort lautete: Familientreffen, und das möglichst
rasch, also noch heute Abend.
Zu trinken war genug im Hause, das Essen konnte
sie sich von einem nahe gelegenen Partyservice liefern lassen.
Tja, damit war alles klar.
Wann riefen Kidnapper wohl ihre Opfer an, wenn sie
von abends sprachen? Sie hatte keine Ahnung, aber sicher nicht zu früh.
Wahrscheinlich auch nicht später als 22 Uhr, denn nach dieser Zeit rief man
einfach nicht mehr an. Zumindest unter gut erzogenen Menschen. Außer es
handelte sich um einen Notfall.
Eine Entführung konnte man ja auch als einen solchen ansehen.
Wie auch immer, 19.30 Uhr war sicher eine gute Zeit, mit dem Familientreffen zu
beginnen.
Elisabeth Bachler machte es sich auf dem Stuhl neben dem
Telefon bequem und begann, die Familienmitglieder zusammenzutrommeln.
*
Kurz vor 15 Uhr hatten die Original
Kaiserschützen am Bahnsteig Aufstellung genommen und begonnen, die Zeit bis zur
Abfahrt des Criminal Express mit ihrem munteren Spiel zu verkürzen.
Die Musiker in ihren historisch anmutenden Fantasiekostümen
sahen hervorragend aus und spielten auch gar nicht schlecht. Dazu kam, dass
sich kaum einer der Gäste den Spaß entgehen lassen wollte, selbst einmal mit
dem Dirigentenstab je nach Temperament wild herumzufuchteln oder bedächtig zu
schwimmen und dabei abgelichtet zu werden.
Mit einem Wort, es war eine Riesenhetz.
Den Musikanten wars wurscht, wer was dirigierte, die kannten das
Zeugs ohnehin auswendig und spielten ungerührt ihr Repertoire herunter. Vom
Radetzkymarsch über ›Stars and Stripes‹ bis hin zu ›Oh, du mein Österreich‹.
Und das funktionierte prima. Selbst wenn der Kapellmeister
lediglich an Blähungen gelitten oder eine lästige Fliege verjagt hätte.
Als sich der Zug exakt um 15.25 Uhr zu den Klängen von ›Muss
i denn, muss i denn zum Städtele hinaus‹ in Bewegung setzte, waren sich
jedenfalls alle sicher, dass Wien zu Recht die Welthauptstadt der Musik genannt
wurde.
»Grothe Klathe«, fasste Kriminaldirektor i. R. Mannsbart vom
LKA mit feuchten Augen zusammen. Treffender hätte man das wirklich nicht
ausdrücken können. Bloß schade, dass sich der äußerst verdiente, hochdekorierte
Kriminalbeamte noch immer keinen besseren Zahnersatz leisten konnte oder
wollte.
Langsam gewann der Zug, der aus drei historischen Salon-,
vier Speise- und zwei Barwagen sowie fünf erst kürzlich völlig renovierten
Erste-Klasse-Waggons aus der Zwischenkriegszeit bestand, an Geschwindigkeit.
Nach einer bewusst prolongierten Fahrtzeit von drei Stunden und 55 Minuten
sollte er exakt um 19.20 Uhr am Bahnhof Semmering einfahren.
Aus Gründen der Authentizität und Originalität hatte Palinski
sogar daran gedacht, eine echte alte Dampflok vor die Garnitur spannen zu
lassen. Wegen der vorhersehbaren, durchaus berechtigten Proteste der
Umweltschützer gegen diese Rußorgie hatte er den Gedanken aber wieder fallen
lassen.
Und das war auch gut so, denn wenn Sir Frederick etwas noch
weniger liebte als eine schlechte Presse, dann eine, die zu Recht schlecht war.
Apropos Presse: An Bord des Zuges befanden sich neben einem
Fernsehteam auch die Vertreter von 33 in- und ausländischen Zeitungen und
Fachmagazinen. Die restlichen der insgesamt 69 akkreditierten Medienvertreter würden
direkt am Zielort zu der nachrichtenhungrigen Meute stoßen.
Unter den Damen und Herren der schreibenden Zunft, die sich
gleich nach der Abfahrt in dem zum provisorischen Pressezentrum umgestalteten
Barwagen versammelten, befand sich auch ein junger Mann, den keiner kannte.
Noch nicht.
Die inländischen Journalisten hielten ihn, falls sie
überhaupt darüber nachdachten, für einen ausländischen Kollegen. Und die
Ausländer umgekehrt für einen Hiesigen.
Der Name Sven Eglitz ließ mehr oder weniger alle Möglichkeiten
offen. Auch die CEPA – Central Europe Press Agency, als deren Mitarbeiter ihn
die am Revers seiner Jacke befestigte Registrierung auswies, ließ viele
Möglichkeiten offen.
Zwar hätte keiner etwas über diese Agentur sagen können, aber
bei der Dynamik, die dieser schnelllebige Markt seit Jahren entwickelte, war
das nicht weiter erstaunlich.
Während sich der Zug in gemächlichem Reisetempo,
wie sollte man die für knapp 100 Kilometer bis zum Ziel benötigte Fahrzeit von
fast vier Stunden sonst nennen, der Station Meidling näherte, schlenderte
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