Schneenockerleklat
das schon,
wenn man beim Friseur vor versammelter Kundschaft als Frau Doktor apostrophiert
wurde?
Damit war aber auch der Aufstieg zur Frau Medizinalrat
gesichert gewesen und schließlich auch die unvermeidliche Beförderung zur
Medizinalratswitwe.
Anitas Karriere war halt ein typisches Beispiel
für den dritten, früher sehr beliebten, sogenannten Wiener Bildungsweg. Und aus
Albert Nirgendwer wurde durch Adoption des freundlichen Stiefvaters ein
inzwischen schon fast acht Jahre alter echter Abbersyn. Nicht mehr und nicht
weniger.
Irgendwie kam das blassblaue Kuvert der alten Dame bekannt
vor. Hatte sie nicht vor zwei, nein, drei Jahren, na egal, sie bildete sich
ein, vor ein paar Jahren genau so ein Briefpapier zu Weihnachten geschenkt
bekommen zu haben.
Und dass ihr Name darauf ausnahmsweise völlig korrekt
geschrieben worden war, war erstaunlich. So was hatte sie schon lange nicht
mehr erlebt. Irgendwie freute sie das sogar.
Langsam öffnete sie jetzt den Umschlag und zog einen
gefalteten Briefbogen heraus. Umständlich breitete sie das Blatt auf dem Tisch
vor sich aus, glättete es und rückte ihre Brille zurecht.
Kaum hatte sie den ersten, aus ausgeschnittenen und
aufgeklebten Druckbuchstaben bestehenden Satz der Botschaft gelesen, als ihre
Gesichtszüge aus der Rolle sprangen und sie zu schreien begann.
IHR KLEINER ALBERT
IST IN UNSERER GEWALT , stand da. Und WENN
SIE IHN IM GANZEN WIEDER ZURÜCKBEKOMMEN WOLLEN , DANN KOSTET SIE DAS 116.812, ALSO
GERUNDET 120.000 EURO .
WEITERE ANWEISUNGEN FOLGEN HEUTE ABEND .
UND KEINE POLIZEI, SONST …
Anita Abbersyn konnte sich nur zu gut
vorstellen, wofür die Punkte nach dem Sonst standen. Und jedes Mal, wenn sie
diesen Passus las, und das tat sie gleich mehrere Male hintereinander, konnte
sie ein hysterisches Schluchzen nicht unterdrücken.
Ach, Albert, ihr Liebling Albert war in den Händen von
schlechten Menschen. Angst schnürte ihren Hals zu wie eine kräftige Rebschnur
und drohte sie zu erwürgen. Immerhin hatte sie schon einmal ein Kind verloren.
Vor vielen Jahren war die damals dreijährige Martina, Alberts ältere Schwester,
die er aber nie kennengelernt hatte, bei einem Verkehrsunfall ums Leben
gekommen.
Erst lange danach war die alte Frau endlich imstande,
aufzustehen und zum Telefon zu gehen, um dringend notwendige Gespräche zu
führen.
*
Seit Mario Palinski auf dem im Jänner vor zwei
Jahren in Wien stattgefundenen Polizei-Kongress kurzfristig als Referent
eingesprungen war und einen viel beachteten Vortrag gehalten hatte, kannte er
viele der führenden Kriminalisten des Kontinents. Mit einigen der Damen und
Herren war er, ja, das konnte man ohne Übertreibung sagen, sogar so etwas wie
befreundet.
So auch mit Sir Frederick Swanhouse, der eben mit einigen
Kollegen in der improvisierten, speziell den Members of the FECI vorbehaltenen
VIP-Lounge am Wiener Südbahnhof eingetroffen war.
Vor dem in der obersten Ebene befindlichen kleinen
Kaffeehaus, das für einige Stunden ganz der FECI zur Verfügung stand, war ein
größeres Partyzelt aufgebaut worden. Hier befand sich neben dem
Check-in-Counter und dem Meeting Point eine kleine Snackbar, die die
Kriminalisten aus ganz Europa mit Getränken und kleinen Speisen verwöhnte.
Judith, die 23-jährige Jurastudentin, die Palinski für die
Vorbereitung und auf Dauer der Jubiläumsveranstaltung als Assistentin z. b. V.,
das bedeutete zur besonderen Verwendung, engagiert hatte, überreichte eben
jeder der anwesenden Damen einen wunderschönen Blumenstrauß.
Die vier unter Judiths Kommando stehenden Hostessen, Schülerinnen
der Maturaklasse einer Hotelfachschule, reichten inzwischen Fruchtsäfte,
Longdrinks, Wasser und kleine Appetithappen.
Kurz nach Sir Frederick waren auch Magnus
Bertsson aus Oslo, Kai Uwe Sterbeck vom BKA in Wiesbaden und Angelus Pelatinos,
Athen, eingetroffen und gleich darauf, zur besonderen Freude Palinskis, auch
Señora Cortez Ruiz aus Madrid, die Chefpsychologin der Guardia Civil. Diese
Dame hatte sich bei seinem ganz speziellen Vortrag vor zwei Jahren als Einzige
auf eine Diskussion eingelassen, seine Ansichten hinterfragt und so sein
besonderes Interesse geweckt.
»Hola, Isabel!« Außer Buenos días und anderen Floskeln war
das das einzige Spanisch, das Mario beherrschte. »Wie geht es Ihnen?«
»Hervorragend. Ich freue mich sehr, hier zu sein, und bin schon
neugierig, was Sie sich diesmal für
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