Schneesturm und Mandelduft: Kriminalroman (German Edition)
Kette.
Und jetzt war die Kette weg. Hunderte kleiner Perlen waren über den Boden des Speisesaals verstreut. Kerstin hatte sie getröstet und ihr gesagt, dass sie jede einzelne davon einsammeln und dann zu einer neuen Halskette auffädeln lassen könnte. Und das stimmte sicherlich. Aber das war irgendwie nicht dasselbe. Etwas Neues konnte nicht etwas Altes werden. Was einmal zerstört war, konnte nicht wieder ganz werden.
Kurz glaubte sie, Rubens anklagenden Blick vor ihrem inneren Auge zu sehen. Mit dem er sie immer bedacht hatte, wie sie fand. Voller Verachtung für ihre Schwäche. Ach, wie sehr wünschte sie sich, auch nur ein Hundertstel der Entschlossenheit zu besitzen, die er so natürlich ausgestrahlt hatte. Ganz zu schweigen davon, wie sehr sie wünschte, dass Gustav wenigstens einen kleinen Teil davon geerbt hätte. Aber zusammen waren sie, sofern überhaupt möglich, nicht noch schwächer als jeder einzeln für sich. Ruben war eine vereinende Bedrohung gewesen, die sie wie ein Klebstoff über die Jahre zusammengehalten hatte. Das wusste Vivi. Sie starrte blind und tränenlos in das erlöschende Feuer, während sie spürte, dass die Katastrophe heranraste wie ein Expresszug.
Am Tag darauf dauerte der Sturm mit unverminderter Gewalt an. Börje und Kerstin hatten tapfer versucht, den Schnee direkt vor der Haustür wegzuschaufeln, aber es war derart viel gefallen, dass er fast bis zu den Fensterbrettern reichte. Wenn es noch einen Tag lang so weiterginge, wären sie bald vollkommen eingeschneit.
Beim Frühstück herrschte eine sehr gedrückte Stimmung. Es war ein seltsames Gefühl, wieder am selben Esstisch wie am Vorabend Platz zu nehmen. Aber niemand hatte Einwände erhoben, als die Gastgeber fragten, ob dies dennoch möglich sei. Auch diesmal gab es Essen im Überfluss. Gekochte Eier, drei Sorten Käse, Schinken, Salami, Speck und Brot frisch aus dem Ofen. Trotzdem stocherten die meisten Mitglieder der Familie Liljecrona lustlos auf ihren Tellern herum. Nur Harald und Bernard ließen es sich schmecken. Offenbar konnte ein Mord ihnen den Appetit nicht verderben.
»Habt ihr gut geschlafen?« Britten versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen, bekam aber nur vereinzeltes Gebrumme zur Antwort.
»Sehr bequeme Betten«, sagte sie zu Kerstin, die herumging und Kaffee einschenkte.
Kerstin nickte lächelnd. »Sie haben doch nicht gefroren, hoffe ich. Sagen Sie nur Bescheid, dann geben wir Ihnen zusätzliche Decken.«
»Oh nein, es war wunderbar. Genau richtig.« Britten sah sich um, ob jemand etwas hinzufügen wollte, aber die anderen starrten nur auf ihre Teller.
Martin hielt die gedrückte Stimmung nicht mehr aus und sagte barsch:
»Ich möchte die Befragungen gern gleich nach dem Frühstück fortsetzen. Gustav, könnten Sie in …«, Martin blickte auf seine Armbanduhr, »in zehn Minuten ins Büro kommen?«
»Ja, natürlich«, antwortete Gustav und wechselte einen schwer zu deutenden Blick mit Vivi. »In zehn Minuten komme ich zu Ihnen. Bin also der Nächste, der zur Rasur dran ist, hm?« Er gab ein kurzes, schrilles Lachen von sich. Keiner stimmte ein.
»Danke, das Essen war sehr gut«, sagte Martin und erhob sich. Er hatte eigentlich nichts Besonderes vorzubereiten, für das er zehn Minuten gebraucht hätte, aber er wollte sich kurz zurückziehen und in Ruhe nachdenken.
Genau auf die Sekunde zehn Minuten später trat Gustav Liljecrona ins Büro. Wieder fiel Martin auf, wie verschieden die beiden Brüder waren. Während Harald groß, breitschultrig und mit einer dichten Haarmähne und einem lauten Organ gesegnet war, hatte der kleine und hagere Gustav sehr schmale Schultern und ein paar letzte Haarsträhnen auf dem Schädel.
»Tja, da wäre ich«, sagte er und nahm Platz. Martin antwortete nicht, sondern begann gleich mit der ersten Frage.
»Wie war das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem Vater?«
Gustav zuckte zusammen und schien nicht recht zu wissen, wohin er blicken sollte. Schließlich entschied er sich, auf die Schreibtischplatte zu starren, und sagte langsam:
»Hm, ja, nein, was soll ich sagen? Es war wohl wie die meisten Vater-Sohn-Beziehungen. Mit anderen Worten, ein wenig kompliziert manchmal.« Er lachte nervös.
»Ein wenig kompliziert?« Martin blätterte zu dem Verhör mit Harald zurück und fuhr dann fort: »Soweit ich verstanden habe, hatten Sie ein sehr kompliziertes Verhältnis zu Ruben. Sowohl Sie als auch Ihr Bruder. Aber auch die Beziehung zu Ihrem Bruder scheint
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