Schneesturm und Mandelduft: Kriminalroman (German Edition)
ist da los?«, wiederholte er, diesmal etwas deutlicher.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Vivi. Sie war bereits aus dem Bett gestiegen und zog ihren Morgenmantel über, den sie über den Bettpfosten gehängt hatte. Der Schrei dauerte an, er hob und senkte sich, hie und da unterbrochen von lauten Schluchzern.
Vivi öffnete die Tür und lief in den Flur hinaus, dicht gefolgt von Gustav, der nur Hemd und T-Shirt trug. Überall öffneten sich Türen, erschienen, noch verschlafen, die anderen.
»Was ist los?«, fragte Harald und kam ihnen entgegen.
Im selben Augenblick sah er zu Mattes Zimmer und begriff, dass der Schrei von dort kam. Mit einem Schritt war er an der Tür, riss sie sperrangelweit auf und fuhr zurück.
Auf dem Boden kauerte seine Frau, Mattes Kopf auf dem Schoß. Sie wiegte sich vor und zurück und schrie ununterbrochen. Ihre Knie waren voller Blut und auch ihre Hände, die Mattes Kopf hielten. Das Blut kam aus einem großen Loch in seiner Brust. Vivi konnte den Blick nicht von diesem Loch abwenden, von all dem Blut, als sie hinter Harald in der Türöffnung stand. Ihr Schwager schwankte stumm, vollkommen geschockt. Vivi ließ den Blick über Mattes Körper hochwandern. Mattes Augen waren offen, und sie hörte mehr, als dass sie es wirklich spürte, wie sie nach Luft schnappte. Matte starrte sie geradewegs an, und sie glaubte erst, er lebe noch. Aber dann wurde ihr klar, dass es in diesem Blick nichts gab. Kein Leben. Nur den Tod.
Harald machte ein paar Schritte ins Zimmer hinein und fiel neben seiner Frau auf die Knie. Auch er schluchzte und strich unbeholfen über Mattes Arm, als wolle er sich vergewissern, dass das nicht nur ein böser Traum war. Er versuchte, einen Arm um Britten zu legen, aber sie schüttelte ihn ab und wiegte sich weiterhin vor und zurück, und die Laute, die sie von sich gab, gingen den anderen durch Mark und Bein. Vivi erschauerte. Sie konnte gar nicht richtig begreifen, was sie da vor sich sah.
Jemand versuchte, sich an ihr vorbeizudrängen. Martin Molin.
»Was ist los?« Innerhalb von kurzer Zeit wurde zum dritten Mal diese Frage gestellt, und auch Martin blieb abrupt stehen. Er fing sich jedoch schnell wieder und hockte sich neben den Toten. Diesmal brauchte er nicht den Puls zu fühlen. Kein Zweifel, Matte lebte nicht mehr.
»Er wurde erschossen«, stellte er fest. Die anderen schienen erst jetzt zu begreifen, was das Loch in der Brust bedeutete. Jemand schnappte nach Luft. Es war Miranda, die soeben gekommen war, neben Vivi stand und nun auch in den Raum starrte.
»Hat jemand den Schuss gehört?«, fragte Martin. Keiner sagte etwas. Einer nach dem anderen schüttelte den Kopf.
»Wie ist das möglich?«, hörte sich Vivi sagen. »Hätten wir nicht einen Schuss hören müssen?«
»Das Gewitter«, sagte Miranda neben ihr. »Der Knall muss von dem Gewitter übertönt worden sein.«
Martin nickte. »Das klingt wahrscheinlich. Wenn der Schuss in dem Augenblick abgefeuert wurde, als ein heftiger Donnerschlag krachte, ging der Knall der Pistole sicher darin unter.«
»Wo ist die Pistole?« Wieder Miranda. Vivi spürte, wie Miranda zitterte. Ihre Schultern berührten sich, und sie wich ein paar Zentimeter zurück und zog ihren Morgenmantel fester um sich. Das Geheimnis lastete bleischwer auf ihr. Sie konnte nicht einmal Miranda anblicken.
Martin sah sich im Raum um. Er hob die Bettdecke hoch und schaute unter dem Bett nach, nichts. Er stand auf und untersuchte den Kamin, den es im Zimmer gab, aber dort lagen nur verkohlte Holzstücke. Nirgendwo war eine Pistole zu sehen.
»Der Mörder muss sie mitgenommen haben«, sagte er schließlich. »Hier im Zimmer ist sie jedenfalls nicht.« Er fügte hinzu: »Ich möchte Sie bitten, den Raum zu verlassen.«
Alle, die in der Türöffnung standen, traten einen Schritt zurück. Harald und Britten blieben sitzen. Brittens Laute waren in ein Wimmern übergegangen, das beinahe noch herzzerreißender klang als der Schrei.
Martin hockte sich neben sie und redete ihr ruhig und deutlich zu wie einem Kind.
»Ich muss überprüfen, was hier geschehen ist. Könnten Sie mich einen ganz kurzen Augenblick mit Matte allein lassen?«
Er legte Britten die Hand auf die Schulter. Sie schüttelte sie nicht ab. Martin wartete, während sie noch ein wenig Mattes Kopf in ihrem Schoß hin und her wiegte. Auf einmal hielt sie inne, legte seinen Kopf vorsichtig ab und stand auf. Sie schwankte und wäre fast umgefallen, aber Harald fing sie auf. Er warf
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