Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Ein Rückblick
E s ist unglaublich, wie viel sich in den letzten dreißig Jahren im Rettungsdienst geändert hat. Medizingerätetechnik, Medikamente, Diagnosemöglichkeiten. Nicht einmal eine Trage von heute hat noch Ähnlichkeit mit diesen einfachen Tragen, die wir zu Beginn der Achtzigerjahre hatten: Sie hatte zwei Gurte und kein Fahrgestell mit Rollen. Ein einfaches EKG -Gerät und ein Defi auf dem RTW waren etwas ganz Besonderes. Als ich begann, bekam ich nur ein paar Wochen Ausbildung, dann wurde ich als verantwortlicher Sanitäter am Patienten eingesetzt, im Krankentransport und wenige Monate später auf dem Rettungswagen. Für ein riesengroßes Gebiet rund um Augsburg gab es nur einen einzigen Notarztwagen, wenn man ihn am dringendsten brauchte, war er oft belegt. Ging es einem persönlich nach einem Einsatz schlecht, dann hatte man zufällig einen guten Kollegen, zufällig einen Wachleiter, dem das auffiel – oder einfach Pech.
Heute muss man dazu Rettungsassistent sein: mit einer Ausbildung von zwei Jahren. Es gibt ein Vielfaches an Notarztstandorten. Frühdefibrillation, standardisierte Abläufe, psychische Betreuung für Patienten, Angehörige und das Personal sind Beispiele für die Professionalität, die Einzug gehalten hat.
Wichtiger als der fachliche ist aber der persönliche Rückblick, den ich teilen möchte: Ich habe viele Erfahrungen sammeln dürfen. Ich habe Dinge erlebt, die ich nicht noch einmal erleben möchte und die mich doch »geformt« haben. Ich habe erlebt, wie es ist, wenn man aufeinander angewiesen ist, empfinde den Rettungsdienst vor allem als Teamarbeit, und sie läuft dann am besten, wenn der Patient, so gut es möglich ist, Teil des Teams wird. Ich habe hektische Einsatzabläufe erlebt und Konflikte – nicht nur mit anderen, sondern auch die wesentlich schlimmeren, die man in sich selbst austrägt.
Ich durfte viele ganz besondere Menschen kennenlernen. Ärzte. Kollegen. Patienten. Manchmal ganz einfache, aber unvergessliche Persönlichkeiten. Ich bin an Grenzen gestoßen. An Grenzen, die mich, in der Stille nach dem Einsatz, dazu gebracht haben, über das nachzudenken, was jenseits dieser Grenzen liegen könnte.
Die wichtigsten Lektionen für das Leben lernt man wohl vom Leben selbst. Und Leid, wo es uns begegnet, verpflichtet uns besonders – zu einem guten Umgang miteinander und der Suche nach Glück, für uns selbst und die Menschen um uns herum. Ein Glück ist es auch, »dabei« zu sein, ein kleines Rädchen in einem guten Ganzen.
Georg Lehmacher, im Sommer 2012
Mein erster Tag in der Rettungswache
D rei weiße Hosen, drei weiße Hemden, eine Allwetterjacke in leuchtendem Orange. »Hier ist der Leihschein«, sagt Frank, ein schlaksiger Typ mit Schnauzbart, der mich in die Kleiderkammer im Untergeschoss der Wache begleitet hatte. »Zieh dich am besten gleich hier um, und dann kommst du wieder hinauf, Christian will dich einweisen.«
Christian war der Wachleiter, so viel wusste ich schon. Und dass man sich hier duzt.
Ich stecke den Leihschein in mein Portemonnaie und tausche Jeans und Pullover gegen eine Garnitur Dienstkleidung. Mit einem flauen Gefühl im Magen trete ich vor den großen Spiegel, der an einer Wand hängt … So übel sieht das gar nicht aus … Ich ziehe den Gürtel fest, stecke die restliche Kleidung in meinen Rucksack und mache mich auf den Weg zurück nach oben. So schnell geht der Wechsel vom Designstudenten zum Zivi einer Rettungswache, zumindest rein äußerlich …
Die helle Deckenbeleuchtung in den Fluren lässt die ohnehin glänzenden Parkett- und roten Steinfußböden der Rettungswache noch mehr erstrahlen, der Neubau war erst vor wenigen Monaten eingeweiht worden.
»Hallo Georg, ich bin Christian.« Der Leiter der Wachstelle, ein markanter Typ, winkt mich in den großen Aufenthaltsraum, in dem außer einer großen Couchgarnitur mit Tisch und mehreren Sesseln und Bürostühlen auch eine hellgraue Schrankwand, ein Regal und ein Sideboard stehen.
»Frank hast du ja schon kennengelernt. Diese Woche fährst du bei uns auf dem KTW mit.«
» KTW ?«, frage ich nach.
»Krankentransportwagen.«
»Ja, klar.« Hätte ich auch so drauf kommen können , denke ich und spüre plötzlich ein Kribbeln wie vor einer Prüfung.
Doch dann kommen immer mehr Kollegen in den großen Raum, beinahe jeder hat eine Kleinigkeit mit Christian zu besprechen. Nachdem er mich ihnen vorgestellt hat, gerate ich erst einmal wieder aus seinem Fokus. Die Kollegen von der
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