Schockstarre
Was, wenn er mich anspricht? Darf ich ihn ansprechen?«
»Lieber nicht! Mir genügt ein Beweis.« Die Frau fuhr sich durchs Haar. Müdigkeit und Erschöpfung schrieben Fältchen in ihr Gesicht.
»Es wird sicher nötig sein, ihm eine Weile an den Fersen zu bleiben. Ich nehme drei Tagessätze als Anzahlung.« Katinka griff nach ihren Visitenkärtchen in der oberen Schublade. »Hier ist meine Kontonummer …«
»Ich zahle gleich!«
Die hat es aber eilig, dachte Katinka, während sie die Scheine entgegennahm. Aber o.k. Nur Bares ist Wahres. Sie griff nach dem Quittungsblock.
»Für wen darf ich die Quittung ausstellen?«
»Ines. Ines Pawlowicz.«
»Und Ihre Adresse?«
»Ich … Ich …«, kam es stockend zurück.
»Eine Telefonnummer reicht fürs Erste auch.«
»Nein. Ich rufe Sie an«, sagte Ines Pawlowicz.
Sie nickte Katinka zu, erhob sich und verschwand in der Nacht.
Noch lange danach starrte Katinka mit zusammengekniffenen Lidern auf den Durchschlag im Quittungsblock.
2. Beschattung
Tom trug stolz die Küchenschürze mit der Aufschrift Raushalten! zur Schau. Vor sich hatte er einen Teller mit Fleisch, Räuchertofu, Bananen und Schalotten stehen.
»Na endlich!«, grüßte er in Richtung Tür.
»Was wird’n das?« Schnuppernd betrat Katinka die Küche und beäugte misstrauisch die Holzspieße in Toms Hand.
»Ein neues Opus Magnum.«
»Ach?« Sie kannte seine Kochkünste und wurde nie enttäuscht. Kulinarisch jedenfalls nicht.
»Wie lief dein Tag?«, fragte Tom und durchbohrte ein Fleischstück.
Genervt schlüpfte Katinka aus dem Mantel und warf ihn auf eine Stuhllehne, wo er einen Sekundenbruchteil hängen blieb und dann zu Boden rutschte. Der Kunstpelz ringelte sich über dem Wollstoff wie ein totes Wiesel. Sie kickte mit ihrem Fuß nach dem Haufen.
»Dem Krause schleife ich seinen knochigen Arsch«, schnaubte sie und mopste ein Bananenstück.
»Wer ist denn Krause?«
»Der Heizungsinstallateur. Dieser Suffkopf hat seinen Betrieb anscheinend wegen Reichtums geschlossen. Heute Morgen verspricht er mir noch hoch und heilig, vorbeizukommen und das Ding wieder zum Laufen zu bringen. Wer kommt nicht? Krause.«
»Typisch«, brummte Tom, »Handwerker versprechen dir alles und halten nichts.« Er presste mit Gewalt einen Holzspieß durch ein Stück Fleisch und zuckte zusammen.
»Hast du dich gestochen?«
Er machte eine fahrige Handbewegung.
»Diese Spieße sind ganz schön spitz. Egal. Wärm dich erstmal auf.«
»Und ob ich das tue.«
Wenn sie heute etwas brauchte, dann Wärme, und wenn es schon kein Saunagang sein sollte, dann wenigstens ein heißes Bad. Durchgefroren von einem langen Arbeitstag im ungeheizten Büro und diversen Businessgängen draußen in der Kälte stapfte Katinka aus der Küche und ließ sich die Wanne ein. Als Zusatz wählte sie Orangenessenz und tauchte dankbar in die Fluten. Während ihre Knochen allmählich auftauten, ging ihr Ines Pawlowicz’ Auftrag durch den Kopf. Die hat mich richtiggehend überrumpelt, überlegte Katinka, und massierte Shampoo in ihr Haar.
Seit sie als Detektivin arbeitete, schulte sie ihren Instinkt für Menschliches, Eigentümlichkeiten, die an den Leuten klebten wie abgestandene Gerüche. Hier miefte etwas, was das war, würde sie noch herausfinden. Ka-tinka spülte den Schaum aus ihrem kurzen Haar und stieg aus der Wanne. Auftrag ist Auftrag, entsann sie sich ihrer beruflichen Maxime. Es hat Zeiten gegeben, in denen ich dankbar für eine Ines Pawlowicz gewesen wäre. Zeiten ohne Klienten und ohne Geld.
Sie stellte sich vor den Spiegel und betrachtete nachdenklich ihr Gesicht. Nichts Besonderes, fand sie. Zwei Augen, Nase, Mund. Kleine, hauchzarte Fältchen um die Augenlider, oft genug dunkle Ränder, weil sie schlecht schlief, wenn ein Fall auch nachts an ihr nagte. Es war nichts Besonderes, dass sie zu später Stunde rausmusste, um Leuten an den Fersen zu kleben. Das ewige Einerlei der Detektive. Sie seufzte, und nur für das eigene Wohlgefühl tupfte sie einige Stäubchen golden schimmernden Lidschatten auf, der ihre haselnussbraunen Augen zum Leuchten brachte.
Als sie beim Essen saßen, erzählte sie Tom von ihrer neuen Klientin.
»Sie hat sich geweigert, eine Telefonnummer oder Adresse anzugeben. Sonderbar, oder?«
»Mach dir keinen Kopf. Was kann schon passieren? Du folgst dem Typ in die Kneipe, und wenn irgendwas schräg läuft, steigst du einfach aus.«
»Sie hat mich schon bezahlt, Tom«, wandte Katin-ka ein, während sie an
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