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Schöne Bescherung

Schöne Bescherung

Titel: Schöne Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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Brüsten, fleischigen Händen und einem wuchtigen Kopf – der offenbar ohne Hals auf dem Körper saß – erwiderte den Blick des Kahlgeschorenen mit stechenden Augen und ohne mit der Wimper zu zucken.
    Der sagte dann leise: »Alle nicht!« Dann lachte er umso lauter, als ob er sich nicht nur über das Gesagte, sondern auch über den Einschüchterungsversuch lustig machen wollte, und zeigte dabei seine gelben, nikotinverfärbten Zähne. Es war ein lautes, busfüllendes Lachen, das lustig und ansteckend wirkte. Die Frau hatte für diese Art von Humor jedoch überhaupt kein Verständnis und tippte sich mit dem fleischigen Zeigefinger an die Stirn. Dann blickte sie empört zu der viel älteren, schmächtigen Frau, die neben ihr saß – offenbar ihre Mutter. Als die nicht reagierte und noch immer teilnahmslos vor sich hinstarrte, sah sich die Dicke hilfesuchend im Bus um. Wie auf Knopfdruck kam der braungebrannte Mann mit dem Handy über den Gang herbeigeeilt und fragte, ob er helfen könnte. Der Mann mit dem kahlrasierten Schädel guckte jetzt den Handy-Mann an und murmelte, als ob es nicht unbedingt jeder hören sollte: »Helfen Sie sich selbst, da haben Sie genug zu tun!«
    Das freundliche Gesicht des Gebräunten veränderte sich schlagartig. Sekundenlang sah es aus wie das furchtbarste Schnabel-Gesicht im Rückspiegel, als ob der Gebräunte nichts lieber wollte, als den Schädel des Kahlrasierten zu perforieren. Doch er besann sich, lachte gekünstelt und klopfte dem Dicken zwei-, dreimal auf die Schulter. Jetzt pappte wieder wie implantiert ein breites Grinsen zwischen seinen Wagenknochen. Ähnlich schlechter Schauspieler wie Schnabel, dachte Plotek, oder ähnlich wunder Punkt.
    »Kleiner Scherzkeks!«, sagte der Braungebrannte und lächelte maskenhaft, während die Frau mit noch immer argwöhnischem Blick zustimmend nickte. Der dicke Mann zwinkerte Plotek zu, der im Gang zwischen den Sitzen stand. Plotek schmunzelte. Irgendwie kam ihm der Dicke bekannt vor. Irgendwo hatte er ihn schon einmal gesehen. Und als ob er Ploteks Gedanken jetzt erraten könnte, stellte sich der Dicke vor: »Herwig E. Skolny!«
    Augenblicklich war Plotek klar, woher er dieses Gesicht kannte. Aus dem Fernseher, Regionalnachrichten, der berühmte bayerische Pathologe, der gerade überraschend und frühzeitig seinem Beruf den Rücken gekehrt hatte.
    »Jetzt wissen Sie, warum!«, sagte Skolny und lachte.
    Plotek wusste gar nichts und dachte, für eine Woche nach Karlsbad nimmt man doch Urlaub und kündigt nicht gleich – sofern man noch einen Job hat. Skolny lachte noch lauter. Was da jetzt so witzig war, keine Ahnung. Er verschluckte sich plötzlich und hustete. Geschieht dir recht, dachte Plotek und merkte, wie sich ein wenig Schadenfreude in ihm einnistete. Skolnys massiger Körper vibrierte, sein Kopf wurde noch röter als zuvor und changierte schon ins Blaue. Er zog ein hellblaues Taschentuch umständlich aus der Hosentasche, hielt es sich vor den Mund und beugte sich vornüber. Der gewichtige Oberkörper kam auf den Knien zu liegen. Er hustete jetzt, als ob er ersticken wollte. Die Frau grinste schadenfroh, guckte von ihrer Mutter, die nach wie vor ausdruckslos vor sich hinstarrte, zum Gebräunten, der ebenfalls spöttisch nickte. Ploteks Schadenfreude war dahin, Mitleid meldete sich. Er klopfte Skolny auf den Rücken, bis das Husten vorüber war. Skolny richtete sich wieder auf und nahm das Taschentuch vom Mund. Plotek sah dunkle Flecken im Hellblau.
    »Das haben Sie jetzt davon«, zischte die Frau, dass die Speicheltropfen sprotzelten, und freute sich noch immer diebisch.
    »Sie auch«, murmelte Skolny wieder so leise, dass man schon gut zuhören musste, um es zu verstehen. »Sie werden auch noch viel Freude daran haben.«
    Er schwenkte das fleckige Taschentuch in der Luft über dem Kopf, als wär’s ein Segel. Entweder ist der lebensmüde oder Berufszyniker, dachte Plotek. Berufsbedingter Zyniker vielleicht, weil man als Pathologe, umgeben von lauter Toten, eben ein ganz anderes Verhältnis zum Leben hat. Irgendwie lockerer, dachte Plotek und merkte, wie ihm dieses dicke, hustende Ungetüm, eingequetscht im Sitz, irgendwie sympathisch wurde. Was er von der dicken Frau und ihrer dürren Mutter nicht behaupten konnte. Das erste Mal betrachtete er die aufgeblasen wirkende Endfünfzigerin mit Anhang etwas näher. Und wieder war sich Plotek nicht ganz klar, ob er sie nicht schon einmal in einem anderen Zusammenhang gesehen hatte. Die

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