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Schöne Bescherung

Schöne Bescherung

Titel: Schöne Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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war, für Stimmung und gute Laune zu sorgen, war Eduard von Alten. Er hatte Erfolg. Über das Busmikrofon intonierte er immer wieder mal ›Hoch auf dem gelben Wägern oder ›Wir fahren nach Madagaskar und alle stimmten mit ein. Na ja, fast alle. Außer der Blinden, der Kaugummi kauenden Marie-Louise, Herrn Stremmel und Doktor Skolny. Plotek auch nicht. Dafür sangen Frau von Ribbenhold und Frau Klinkermann so laut, dass beide danach ein wenig heiser waren. Ob ihnen die Lieder so gut gefielen oder ob sie Herrn von Alten gefallen wollten, keine Ahnung. Auf jeden Fall wirbelte Herr von Alten im Bus herum, als wäre er der Reisebegleiter und für das Wohl vor allem der weiblichen Busreisenden verantwortlich. Plotek war’s egal. Für diese Art von Konkurrenz fehlte ihm der Ehrgeiz.
    »Alles aussteigen«, quetschte Schnabel erneut angesäuert durchs Mikrofon.
    Alle stiegen aus. Auch die, die nicht aussteigen wollten, Marie-Louise zum Beispiel, mussten den Bus verlassen. Ferdinand Schnabel bestand darauf.
    »Soll ich Ihren Rollstuhl aus dem Gepäckraum holen?«, fragte Schnabel Frau von Ribbenhold.
    »Nein, das geht dieses Mal auch so«, sagte sie und strahlte ihn mit roten Bäckchen an, als ob ihr Madagaskar und die Pest unerwartete Kräfte verliehen oder Herr von Alten neben den unterhaltenden Qualitäten auch heilende Fähigkeiten hätte. Von ihrer schweren Rheumaerkrankung, aufgrund derer sie seit Jahren meist mit dem Rollstuhl vorlieb nahm, wollte sie momentan offenbar nichts mehr wissen. Und die Rheumaerkrankung auch nicht von ihr. Sich an der aufgeklappten hinteren Bustür festhaltend, wartete sie lässig auf Herrn von Alten, der sich, noch im Bus, hilfsbereit um die Blinde bemühte. Was die Blinde offenbar ganz anders sah.
    Als Herr von Alten nach ihrer Hand griff, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein, zischte sie: »Fass mich nicht an!«, als hätte er nicht nach ihrer Hand, sondern unter ihren Rock gegriffen.
    Herr von Alten erschrak und ließ sofort los. »Verzeihen Sie vielmals, ich wollte Ihnen doch nur helfen.«
    »Helfen Sie sich selbst, da haben Sie genug zu tun«, sagte die Blinde in einem Ton, dass es Plotek kalt den Rücken entlangprickelte. Und sie machte ein Gesicht dabei, als ob sie jetzt Herrn von Alten nicht nur verbal in kleinste Teile zerlegen, sondern ihn mit einem gezielten Biss in die pulsierende Halsschlagader gleich für immer erledigen wollte.
    Herr von Alten tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn, woraufhin das Ehepaar Helga und Heinz verständnisvoll nickte. Herr Stremmel guckte peinlich berührt. Herr Skolny zuckte mit den Schultern und zündete sich eine Zigarette an, nahm zwei tiefe Züge und musste anschließend ganz erbärmlich husten. Frau Klinkermann mit den blasslila Locken fauchte leise: »Unverschämtheit.«
    Es war nicht ganz klar, ob sie nun die Blinde oder den rauchenden Skolny meinte. Das schien Kita Kubella egal zu sein. Sie streckte ihr trotzdem wieder hinter dem Rücken die Zunge heraus.
    »Das ist der Dank für die Gutmüdigkeit«, sagte Frau Weller zu ihrer Mutter mit einem Gesichtsausdruck, als ob sie sich gut vorstellen könnte, von Herrn von Alten nicht nur an der Hand genommen zu werden.
    Die Mutter entgegnete: »Sind wir jetzt in Marienbad?«
    »Nein, Mami, noch nicht, außerdem fahren wir nach Karlsbad!«
    Worauf die Mami wieder still vor sich hinweinte.
    »Undankbares Weibsbild«, brummte Frau Weller vor sich hin.
    Wobei jetzt nicht ganz klar war, ob sie damit die Mami oder doch eher die Blinde meinte. Herr Wilhelm mit der Hasenscharte wiederum meinte eindeutig die Blinde, als er gar nicht freundlich sagte: »So weit ist es schon gekommen. Jetzt darf man nicht einmal mehr helfen.«
    Die anderen Reisegäste nickten zustimmend, als ob sie ganz und gar mit Herrn Wilhelm einer Meinung wären und höchstens vielleicht noch ergänzen wollten, dass die Behinderten heutzutage auch nicht mehr das seien, was sie einmal waren.
    »So sind die Zeiten eben«, flüsterte Skolny Plotek ins Ohr. »Ein Sorgenkind ist kein Sorgenkind mehr, sondern auch ein Mensch. Für manche scheint das unbegreiflich.« Er lächelte und nahm wieder einen kräftigen Zug von seiner filterlosen Zigarette. Diesmal ohne zu husten.
    »Kennen Sie den?«, fragte Herr Wilhelm und setzte wieder zu einem seiner Witze an. »Was ist gemein?«
    Die anderen, vor dem Bus stehend, zuckten mit den Schultern, quasi keine Ahnung.
    »Einen Blinden ins Kino schicken!«
    Manche grinsten.
    »Was ist nun noch

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