Schöne Khadija
kaum. Ich wuchs zusammen mit meinen Schwestern und meinem Bruder Mahmoud auf und wir zogen mit meiner Mutter und unseren Verwandten von einer Weide zur nächsten. Es war ein schönes Leben.
Aber plötzlich änderte sich alles, ohne Vorwarnung. Im Grunde hatte es schon gewisse Anzeichen gegeben, aber ich war zu unschuldig gewesen, um sie richtig zu deuten. Zu vertrauensvoll.
Zuerst kam mein Vater aus Mogadischu und nahm drei der Kamele mit. Wir wussten, dass er sie verkaufen würde, aber er sagte uns nicht, was er mit dem Geld vorhatte. Schließlich waren es seine Kamele. Und da der Regen ausgeblieben war, dachte ich, er verkauft sie wegen der Dürre.
Als er das nächste Mal kam, hatte er eine Kamera dabei. Meiner Mutter gefiel das nicht. Ich sah, wie sie sich heftig mit ihm stritt, aber sie waren zu weit weg, als dass ich hätte verstehen können, worum es ging. Als er mich rief, ging sie allein fort.
Er hängte ein Laken über die Seite seines Autos und befahl mir, mich davorzusetzen, während er Fotos von meinem Gesicht machte. Als er die erste Aufnahme machte, lächelte ich und winkte, aber er schüttelte den Kopf.
»Sieh gerade in die Kamera«, sagte er. »Ich brauche nur dein Gesicht.«
Vielleicht sucht er einen Ehemann für dich , hatte Mahmoud später gesagt. Dann lachte er über meinen Gesichtsausdruck und da wusste ich, dass er nur gescherzt hatte. Er ist zu jung, um so etwas wie die Ehe ernst zu nehmen. Aber ich fragte mich, ob er wohl recht hatte.
An Passbilder hatte ich nie im Leben gedacht.
Als mein Vater das dritte Mal kam, war es fast schon dunkel. Er saß mit meiner Mutter am Feuer und unterhielt sich lange mit ihr.Mahmoud sagte nichts, aber er sah mich von der Seite her an und wackelte mit den Augenbrauen, um mich zum Lachen zu bringen. Als wir schlafen gingen, konnten wir unsere Eltern immer noch reden hören.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, stellte ich fest, dass meine Mutter all meine Sachen in einem Tuch zusammengepackt hatte. Es war nicht allzu viel. Wenn man sein Leben damit verbringt, herumzuziehen, nimmt man nur die Dinge mit, die wirklich wichtig sind.
»Du ziehst ins Haus deines Vaters nach Mogadischu«, erklärte meine Mutter. »Sei ein gutes Mädchen und tu, was man dir sagt.«
»Was ist denn los? Warum soll ich weggehen?«
Sie tätschelte mir den Arm und schenkte mir ein leises Lächeln. »Das wirst du schon bald erfahren. Es ist eine wundervolle Gelegenheit.«
Warum wollte sie mir nicht mehr verraten? Ich wollte noch mehr Fragen stellen, aber es war keine Zeit dafür. Mein Vater rief mich und alle standen um sein Auto herum und warteten darauf, dass ich einstieg. Mahmoud saß am Steuer und tat so, als würde er fahren, und Zainab und Sagal sahen mich neidisch an. Mahmoud hatte auch mit ihnen gesprochen und sie glaubten, dass eine Hochzeit anstand.
Alle umarmten mich. Dann scheuchte mein Vater Mahmoud aus dem Wagen und hielt mir die Tür auf.
»Fertig?«, fragte er.
Ich hob den Kopf und sah ihm in die Augen. »Fertig!«, antwortete ich und stieg ein.
Unterwegs versuchte ich herauszufinden, was los war. Zuerst ließ ich einige Hinweise fallen, und da mein Vater nicht darauf reagierte, fragte ich ihn schließlich ganz direkt: »Abbo, bringst du mich weg, um mich zu verheiraten?«
Erstaunt sah er mich an. »Wer hat dir denn das erzählt?«
»Niemand hat es mir erzählt . Aber Mahmoud hat gedacht …«
»Mahmoud?« Mein Vater begann zu lachen. »Was für ein geschickterGeschichtenerzähler! Erinnerst du dich noch an sein Lied über die Ziege? Hey, kleine Ziege, du bist die schönste aller Ziegen! Du bist so hübsch wie ein Kamel, kleine Ziege! Alle Kamelmännchen sind in dich verliebt, kleine Ziege!«
Er war ein guter Imitator und sang mit hoher, dünner Stimme, wie Mahmoud. Es war unmöglich, nicht zu lachen – aber ich hatte meine Frage noch nicht vergessen. »Also wenn ich nicht verheiratet werde, warum bringst du mich dann nach Mogadischu?«
Mein Vater schwieg einen Moment. Dann sagte er: »Du gehst nicht nach Mogadischu. Du gehst auf eine viel längere Reise.« Er sah weg. »Ich habe einen Platz für dich in England gefunden.«
» England ?«, stieß ich krächzend hervor, als ob mich jemand würgte. »Warum schickst du mich fort? Was habe ich getan?«
»Du hast gar nichts getan. Wenn du ein böses Mädchen wärst, würde ich nicht wagen, dich dorthin zu schicken. Es ist eine wunderbare Gelegenheit. Du bekommst eine gute Ausbildung …«
»Ich bin
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