Schöne Khadija
den Motor anließ, sprang sie plötzlich vor und klopfte ans Fenster, damit ich die Scheibe herunterließ.
»Denk immer daran, wer du bist«, stieß sie hervor. »Und komm gut wieder nach Hause.« Sie tätschelte mir durch das Fenster die Hand, trat dann wieder zurück und presste die Lippen aufeinander, als ob sie mit den Tränen kämpfen müsste.
Und das war es. Wir fuhren los.
Wir reisten in einer Art magischem Zeitkontinuum, zu schnell, um es richtig zu begreifen. Ich hatte erwartet, dass unsere Reise langweilig und voller Hindernisse sein würde, aber Suliman wurde spielend mit allen Schwierigkeiten fertig. Der Flug war absolut pünktlich und bis wir gegessen und uns einen Film angesehen hatten, war es beinahe schon Zeit für die Landung in Dubai.
Dort gab es eine Verzögerung, weil wir auf unseren Weiterflug nach Galkayo warten mussten – aber wer könnte sich auf dem Flughafen von Dubai schon langweilen? Ich ging auf und ab, betrachtete den Luxus in den Läden und suchte mir die Kleidung aus, die ich mir kaufen würde, wenn ich das Geld dafür hätte. Als ich mir einen Ständer mit Sonnenbrillen ansah, kam Suliman und kaufte mir das coolste Exemplar im ganzen Laden.
»Wenn du mit mir reist, musst du gut aussehen«, erklärte er.
Das war natürlich ein Scherz, aber es war ein Scherz von der Sorte, bei der man sich richtig wohlfühlt.
Auf dem Weiterflug nach Somalia ließ Suliman Amina und Khadijanebeneinandersitzen, damit ich neben ihm den Platz am Fenster bekam. Wir flogen früh am Morgen los und lange Zeit war es noch zu dunkel, um etwas zu erkennen. Aber als die Sonne aufging, berührte mich Suliman am Arm, neigte sich über mich zum Fenster und deutete nach unten.
»Sieh mal!«
Unter uns zeichnete sich die somalische Küste scharf gegen das blaue Meer ab. Als das Flugzeug zu sinken begann, presste ich das Gesicht an die Scheibe und betrachtete die Klippen, Berge und Schluchten meines Landes, die sich meinem Blick boten. Nie zuvor hatte ich etwas Vergleichbares gesehen.
Es war der erste Blick, den ich auf das Land warf, aus dem ich stammte.
Sobald ich aus dem Flugzeug stieg, wusste ich, ich war zu Hause. Die Sonne schien mir hell ins Gesicht und ich roch den reinen, vertrauten Duft der Wüste. Als meine Füße den somalischen Boden berührten, hätte ich am liebsten geweint. Im grauen, kalten Licht und dem endlosen Regen in England hatte ich versucht, nicht daran zu denken, wie sehr ich Somalia vermisste. Als ich jetzt zum Flughafenterminal ging, kam das alles wieder in mir hoch. Aber Heimat, das ist mehr als ein Ort. Es bedeutet auch Familie. Und von meiner Familie war niemand hier, um mich zu begrüßen. Eine kleine E-Mail hätte gereicht, dass sie alle zum Flughafen gekommen wären, aber Suliman hatte mir verboten, es ihnen zu sagen. Er meinte, es sei zu gefährlich.
»Man weiß nie, wer so eine E-Mail liest. Wir können es uns nicht leisten, dass die Kidnapper von deiner Anwesenheit hier erfahren. Denn dann finden sie vielleicht, dass du für sie mehr wert bist als Mahmoud, und entführen stattdessen dich.«
»Dann wäre Mahmoud zumindest frei«, gab ich zurück.
Suliman hatte mich verächtlich angesehen. »Meinst du, sie ließen ihn einfach so laufen? Sei nicht albern, Khadija. Wenn du ihn retten willst, muss dies ein heimlicher Besuch sein.«
Ich verstand immer noch nicht ganz, warum, aber das Erste, was er gesagt hatte, hallte in meinen Ohren nach. Man weiß nie, wer so eine E-Mail liest. Wenn jemand meine Mail an Mahmoud gelesen hatte, in der ich ihm von Sandy erzählt hatte, dann war ich allein an seiner Entführung schuld.
Aber hatte das jemand gesehen? Wie war so etwas nur möglich?
Mit einem hatte Suliman allerdings recht. Ich würde es nicht riskieren, Mahmoud noch mehr Schwierigkeiten zu machen. Also kam ich als Khadija Ahmed Mussa nach Somalia, zusammen mit meinem Bruder Abdirahman Ahmed Mussa und zwei Freunden unserer Familie.
Die Gefahr, dass man mich zufällig erkannte, bestand nicht. Seit unserer Ankunft in Dubai hatte ich mich hinter meinem schwarzen Schleier in den Kleidern versteckt, die mich zu Qarsoon machten. Niemand sah mein Gesicht auf dem Flughafen, wo ich mit Abdi und Amina darauf wartete, dass Suliman die Einreisegebühr bezahlte.
Er holte unser Gepäck und feilschte dann um ein Taxi, das uns nach Galkayo bringen sollte. Am liebsten wäre ich gelaufen und gelaufen, den weiten Himmel über mir, hätte die saubere Luft geatmet und den heißen Sand unter meinen
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