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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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identische Geschwister?« fragte der Wilde besorgt, als sie den Besichtigungsrundgang begannen. »O nein«, erwiderte der Oberstudienrat. »Pforta ist ausschließlich den Jungen und Mädchen der höheren Kasten vorbehalten. Ein Ei,
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    ein Mensch. Natürlich erschwert das die Erziehung beträchtlich.
    Aber da unsere Schüler einmal Positionen einne hmen sollen, in denen sie Verantwortung tragen und überraschenden Situationen gewachsen sein müssen, läßt sich das nicht ändern.« Er seufzte.
    Sigmund hatte unterdessen lebhaftes Wohlgefallen an
    Fräulein Fordsched gefunden. »Wenn Sie an einem Montag-, Mittwoch- oder Freitagabend Zeit haben...«, sagte er und wies mit dem Daumen auf den Wilden. »Er ist ein interessantes Exemplar, wissen Sie, äußerst merkwürdig.«
    Fräulein Fordsched antwortete mit einem Lächeln, das er wirklich reizend fand, und sagte: »Vielen Dank«, sie werde mit größtem Vergnügen zu einer seiner Abendgesellschaften
    kommen. Der Schulleiter öffnete eine Tür.
    Der fünf Minuten lange Aufenthalt im Lehrsaal der alpha-
    plus-plus Schüler versetzte Michel einigermaßen in Verwirrung.
    »Was ist das nur: Anfangsgründe der Relativität?« flüsterte er Sigmund zu. Sigmund versuchte zu erklären, dann ließ er es lieber sein und schlug vor, in einen anderen Lehrsaal zu gehen.
    Hinter einer der Türen des Korridors, der zum betaminus Geographiesaal führte,
    kommandierte eine klangvolle
    Sopranstimme: »Eins-zwei, drei- vier«, dann, müde und ungeduldig: »Grundstellung!«
    »Verhütungsdrill«, erklärte die Oberlehrerin. »Die meisten unserer Schülerinnen sind natürlich empfängnisfrei.
    Ich bin es übrigens auch.« Sie lächelte Sigmund zu. »Aber wir haben etwa achthundert Nichtsterilisierte hier, die regelmäßig gedrillt werden müssen.«
    Im Geographiesaal erfuhr Michel,
    daß »eine
    Wildenreservation eine Gegend ist, die wegen ungünstiger klimatischer oder geologischer Verhältnisse oder der Armut an Bodenschätzen die Kosten der Zivilisierung nicht lohnt«.
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    Ein Klicken, das Schulzimmer verdunkelte sich, und auf der Leinwand über dem Kopf des Lehrers erschienen plötzlich die Büßer von Acoma, die sich vor Unserer Lieben Frau
    niederwarfen, winselnd, wie Michel selbst sie winseln gehört hatte, und die vor Jesus am Kreuz und dem Adlerbild Pukongs ihre Sünden bekannten. Die Schüler brüllten fast vor Lachen bei diesem Anblick.
    Noch immer winselnd erhoben sich die Büßer, warfen die Hemden ab und begannen, sich mit geknoteten Geißeln zu
    schlagen. Das Gelächter wurde noch einmal so laut und
    übertönte sogar die verstärkte Wiedergabe ihres Ächzens und Stöhnens.
    »Warum lachen sie?« fragte der Wilde betroffen.
    »Warum?« Breit grinsend wandte sich der Schulleiter ihm zu.
    »Warum? Weil es so unerhört komisch ist.«
    In dem Halbdunkel, das während der Filmvorführung
    herrschte, wagte Sigmund etwas, zu dem ihn früher nicht einmal völlige Finsternis ermutigt hätte. Im Bewußtsein seiner neuen Wichtigkeit legte er den Arm um die Hüften der Oberlehrerin.
    Gertengleich schmiegte sie sich an ihn.
    Eben wollte er hastig ein, zwei Küsse tauschen, vielleicht auch einen zarten Kniff anbringen, als es wieder hell wurde.
    »Wir sollten jetzt besser weitergehen«, sagte Fräulein
    Fordsched und schritt zur Tür.
    »Und hier«, sagte Oberstudienrat Nietzschegel einen
    Augenblick später, »ist der Schlafschulkontrollraum.«
    Hunderte von Synthetofonen, für jeden Schlafraum eines, standen ordentlich aufgereiht in Regalen an drei Seiten des Saals; an der vierten lagen in Schubfächern die Tonbandrollen mit den verschiedenen Schlafschullektionen.
    »Man legt das Band hier ein«, unterbrach Sigmund die
    Erklärungen des Oberstudienrats, »drückt auf diesen Knopf -«
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    »Nein, auf den anderen«, verbesserte der Schulleiter
    verärgert.
    »Also auf den da. Das Band läuft ab. Die Selenzellen
    verwandeln die Lichtschwingungen in Schallwellen, und -«
    »Und die Sache funktioniert«, schloß der Oberstudienrat.
    »Lesen die Schüler auch Shakespeare?« fragte der Wilde, als sie auf dem Weg in die Chemielaboratorien an der
    Schulbibliothek vorbeikamen.
    »Natürlich nicht«, antwortete die Oberlehrerin und wurde rot.»Unsere Bücherei enthält nur Nachschlagewerke«, bemerkte Oberstudienrat Nietzschegel. »Wenn die jungen Leute sich unterhalten wollen, können sie ins Fühlkino gehen. Wir leisten einsamen Zerstreuungen keinen Vorschub.«
    Fünf Omnibusse mit

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