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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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singenden oder schweigend einander
    umschlungen haltenden Jungen und Mädchen rollten auf dem vitreolisierten Hauptweg an ihnen vorbei.
    »Kommen gerade zurück«, erklärte der Schulleiter, während Sigmund flüsternd mit der Oberlehrerin eine Verabredung für den Abend traf. »Die waren im Krematorium in Apolda.
    Normung auf den Tod beginnt im Alter von anderthalb Jahren.
    Jeder Dreikäsehoch verbringt zwei Vormittage in der Woche in einer Moribundenklinik.
    Dort gibt es die schönsten Spielsachen und an Sterbetagen Schokoladencreme. Sie lernen,
    das Sterben als eine
    Selbstverständlichkeit hinzunehmen.«
    »Wie jeden anderen physiologischen Vorgang«, ergänzte die Oberlehrerin sachlich.
    Das Rendezvous war für acht Uhr im Adlon vereinbart.
    Auf dem Rückflug hielten sie auf der Fernsehfabrik am
    Siemensdamm.
    »Würden Sie bitte einen Augenblick hier warten, während ich telefoniere?« fragte Sigmund.
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    Während der Wilde wartete, sah er sich ein bißchen die
    Umgebung an. Die Tagschicht verließ gerade die Fabrik.
    Dichtgedrängt standen die Arbeiter aus den niederen Kasten an der Haltestelle der Einschienenbahn Schlange: sieben- bis achthundert Gammas, Deltas und Epsilons, Männer und Frauen, die alle zusammen höchstens zwölf verschiedene Gesichter und Staturen aufwiesen. Jedem von ihnen schob der Schalterbeamte zusammen mit der Fahrkarte ein Pappschächtelchen hin.
    Langsam kroch die endlose Menschenraupe vorwärts.
    »Was ist in diesen Kästchen?« fragte der Wilde, des
    »Kaufmanns von Venedig« eingedenk, als Sigmund endlich
    zurückkam.»Die Tagesration Soma«, antwortete Sigmund ein wenig undeutlich, da er gerade eines von Benitos
    Sexualhormonkaugummis kaute. »Sie bekommen sie nach
    Arbeitsschluß.
    Vier Halbgrammtabletten. An Sonnabenden sechs.«
    Er packte Michel freundlich am Arm und ging mit ihm zum
    Helikopter zurück.
    Singend betrat Lenina den Umkleideraum.
    »Du scheinst ja sehr zufrieden mit dir zu sein«, meinte Stinni.
    »Bin ich auch!« antwortete sie. Zipp! »Vor einer halben
    Stunde hat Sigmund mich angerufen.« Zipp, zipp! Sie stieg aus ihrer Hose. »Ihm ist etwas dazwischengekommen.« Zipp! »Er fragte deshalb, ob ich heute abend den Wilden ins Fühlkino mitnehmen möchte. Ich muß mich beeilen.« Sie lief ins
    Badezimmer.
    »Ein Glück hat das Mädchen!« dachte Stinni, ihr nachsehend.
    Es lag kein Neid in diesem Gedanken; die gutmütige Stinni stellte lediglich eine Tatsache fest. Ja, Lenina hatte Glück, denn zusammen mit Sigmund bekam sie ein gerütteltes Maß von der ungeheuren Berühmtheit des Wilden ab, und ihr eigenes,
    unbedeutendes Persönchen sonnte sich im Glanz der großen
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    Mode des Augenblicks. Die Sekretärin des Bundes Weltlicher Mädchen hatte sie aufgefordert, einen Vortrag über ihre Erlebnisse zu halten. Der Eldoradoklub hatte sie zu einem jährlichen Festbankett eingeladen. Sogar in der
    Wochenhörfühlschau war sie aufgetreten - sichtbar, hörbar und fühlbar für ungezählte Millionen auf dem ganzen Erdball.
    Nicht weniger schmeichelhaft waren die Aufmerksamkeiten, die ihr von prominenten Persönlichkeiten zuteil wurden. Der Zweite Sekretär des Weltaufsichtsrats hatte sie zu Abendessen und Frühstück eingeladen. Mit dem Polizeipräfekten hatte sie ein Wochenende verbracht und eines mit dem Erzchormeister von Köln. Der Präsident des Innen- und Außensekrete-Trusts rief sie alle Augenblicke an, und mit dem Vizegouverneur der Bank von Europa war sie in Deauville gewesen.
    »Natürlich ist es wundervoll. Und doch«, hatte sie Stinni gestanden, »habe ich das Gefühl, daß mir das alles durch Vorspiegelung falscher Tatsachen zuteil wird. Denn natürlich will jeder zuallererst wissen, wie die Liebe mit einem Wilden ist. Und da muß ich antworten, daß ich es nicht weiß.« Sie schüttelte den Kopf. »Selbstverständlich glauben mir die meisten Männer das überhaupt nicht. Aber es ist wahr. Ich wollte, es wäre nicht so«, setzte sie traurig hinzu und seufzte.
    »Er ist ja sooo hübsch, findest du nicht?«
    »Mag er dich denn nicht?« fragte Stinni.
    »Manchmal glaube ich, er mag mich, und manchmal, er mag mich nicht. Er weicht mir geflissentlich aus, verläßt das Zimmer, wenn ich es betrete, rührt mich nicht an, sieht mich nicht einmal an. Aber zuweilen, wenn ich mich rasch umwende, ertappe ich ihn, wie er mich anstarrt, und dann - nun, du weißt ja, wie eine n die Männer anstarren, wenn man ihnen gefällt.«
    Stinni wußte es.
    »Ich werde

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