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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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versteinertem
    Schweigen, dann brach er neben dem Bett in die Knie, schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte fassungslos.
    Die Pflegerin stand unschlüssig, bald auf die kniende Gestalt am Bett blickend - ein skandalöser Auftritt! -, bald auf die Kinder, die armen Würmchen, die jetzt nicht mehr Zippsack spielten, sondern vom anderen Saalende, sämtliche Augen und Nasenlöcher weit aufgerissen, herüberstarrten auf das unerhörte Schauspiel bei Bett 20.
    Sollte sie mit ihm reden und ihn zur Vernunft bringen, damit er sich anständig benahm und begriff, welch verhängnisvolles Unheil er in diesen unschuldigen Seelen anrichtete? Mit seinem ekelhaften Ausbruch die ganze gesunde Sterbenormung der
    -208-

    Kinder zu zerstören - als ob der Tod etwas Schreckliches und ein Menschenleben der Rede wert wäre! Die Kinder konnten ja dadurch auf die ärgsten Gedanken über den Tod kommen, ihre Gemüter konnten so sehr vergiftet werden, daß sie ganz
    verkehrt, ganz unsozial darauf reagierten.
    Sie trat auf ihn zu und berührte ihn an der Schulter.»Möchten Sie sich nicht anständig benehmen?« fragte sie zornig, aber leise. Doch als sie sich umwandte, gewahrte sie, daß sich ein halbes Dutzend Simultankinder scho n in Bewegung gesetzt hatte und näher kam. Der Spielkreis löste sich auf. Noch einen Augenblick, und... Nein, die Gefahr war zu groß, die Normung der ganzen Gruppe konnte um sechs, sieben Monate
    zurückgeworfen werden!
    Sie eilte wieder zu ihren gefährdeten Schützlingen.
    »Nun sagt einmal, wer möchte gern Schokoladentorte?«
    fragte sie laut und fröhlich.
    »Ich!« gellte die ganze Bokanowskygruppe im Chor.
    Bett 20 war völlig vergessen.
    »O Gott im Himmel, Gott, Gott...«, stammelte der Wilde immer wieder. Aus dem Chaos von Trauer und Reue in seiner Seele rang sich nur dieses eine artikulierte Wort.
    »Gott!« flüsterte er laut. »Gott...«
    »Wa-as sagt er da?« fragte ganz nahe eine Stimme, das
    Trällern der Riesenorgel deutlich und schrill durchdringend.
    Dem Wilden gab es einen heftigen Ruck, er nahm die Hände vom Gesicht und sah sich um. Fünf Khakibrüder, jeder ein großes Stück Torte in der Rechten, die identischen Gesichter auf verschiedene Art mit Schokolade beschmiert, standen in einer Reihe da und glotzten ihn an wie Kobolde.
    Ihre Blicke begegneten seinem, sie grinsten alle zugleich.
    Einer wies mit seiner Schokoladentorte auf das Bett.
    »Ist sie tot?« fragte er.
    -209-

    Wortlos starrte der Wilde die Horde einen Augenblick an.
    Wortlos erhob er sich, und wortlos schritt er zur Tür.
    »Ist sie tot?« wiederholte der Neugierige, an seiner Seite trottend.
    Der Wilde blickte auf ihn herab und stieß ihn wortlos von sich. Der Khakikobold fiel zu Boden und brach sogleich in markerschütterndes Geheul aus. Der Wilde sah sich nicht einmal um.
    -210-

    Fünfzehntes Kapitel
    Das Wirtschaftspersonal der Moribundenklinik in Potsdam
    bestand aus hundertzweiundsechzig Deltas: einer
    Bokanowskygruppe von vierundachtzig rothaarigen,
    rundschädeligen weiblichen und einer von achtundsiebzig
    dunkelhaarigen,
    langschädeligen männlichen
    Simultangeschwistern. Um sechs,
    nach Arbeitsschluß,
    versammelten sie sich in der Eingangshalle, um vom
    Hilfssäckelwart ihre tägliche Ration Soma in Empfang zu
    nehmen.
    Der Wilde geriet, aus dem Aufzug tretend, mitten unter sie.
    Aber seine Gedanken weilten anderswo, bei Tod, Trauer und Reue. Mechanisch, ohne zu wissen, was er tat, begann er, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen.
    »Was stoßen Sie denn? Sehen Sie nicht, wo Sie hingehen?«
    Aus einer Unzahl Kehlen quiekten oder knurrten, hoch oder tief, nur zwei Stimmen. Endlos vervielfältigt wie in
    gegenübergestellten Spiegeln, wandten sich ihm zornig zwei Gesichter zu, eine glatte, sommersprossige Vollmondvisage mit rötlicher Gloriole und eine spitze Vogelmaske mit zwei Tage alten Bartstoppeln. Ihre Worte und scharfen Rippenstöße
    durchbrachen den Damm seiner Geistesabwesenheit. Er wurde sich wieder der äußeren Wirklichkeit bewußt; sah sich um; begriff, was er sah; begriff, von Grauen und Ekel gepackt, daß es der immer wiederkehrende Alptraum seine r Tage und Nächte war, der Alptraum wimmelnder, ununterscheidbarer Gleichheit.
    Dutzendlinge, Dutzendlinge... Wie Maden waren sie über das Mysterium von Filines Tod gekrabbelt und hatten es besudelt.
    Maden auch hier, nur größer, ausgewachsener, die über seine Trauer und seine Reue wimmelten. Er blieb stehen und starrte fassungslos, entsetzt

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