Schöne Ruinen
Messer.«
Jetzt kommt Lydia die Treppe herauf, die sich nach ihrer Dusche mit dem Handtuch das Haar trocknet. Sie erzählt Debra noch einmal, dass Ted und Isola bei der Aufführung waren und nach ihr gefragt haben.
Den Ton dieser besorgten Frage kennt Debra genau: Wie GEHT es ihr?
Ich lebe noch. Ach, was sie nicht alles sagen würde, wenn sie könnte – aber dieses Sterben ist ein Minenfeld aus Höf lichkeit und Manieren. Ständig werden ihr von den alter nativen Leuten hier homöopathische Mittel und allerlei anderer Kram angeboten: Magnete, Kräuter, Pferdesalben. Einige geben ihr Bücher – Ratgeber, Wälzer übers Trauern, Broschüren übers Sterben. Mir ist nicht mehr zu helfen, weder von mir selbst noch von anderen , möchte sie sagen, und Sind die Trauerbücher nicht eher für die Hinterbliebenen? und Danke für die Bücher übers Sterben, aber diesen Teil kenne ich schon. Sie fragen Pat: Wie GEHT es ihr , und sie fragen sie: Wie GEHT es dir? Aber sie wollen gar nicht hören, dass sie die ganze Zeit müde ist, dass ihre Blase undicht ist, dass sie ständig mit dem Versagen ihrer Körperfunktionen rechnen muss. Sie wollen hören, dass sie mit sich im Reinen ist, dass sie ein großartiges Leben geführt hat, dass sie glücklich über die Rückkehr ihres Sohnes ist – und genau das gibt sie dann auch von sich. Und meistens besteht für sie auch kein Zweifel, dass sie mit sich im Reinen ist, dass sie ein großartiges Leben geführt hat und dass sie glücklich über die Rückkehr ihres Sohnes ist. Sie weiß, in welcher Schublade die Telefonnummern liegen, wenn sie das Sterbehospiz, die Firma mit dem Krankenhausbett oder den Morphiumtropfanbieter anrufen muss. An manchen Tagen erwacht sie nur langsam aus einem Nickerchen und denkt sich, es wäre in Ordnung, einfach weiterzuschlafen – es wäre überhaupt nicht beängstigend. Pat und Lydia sind so stabil, wie sie es sich nur wünschen kann, und der Vorstand hat zugesagt, Lydia die Leitung des Theaters zu übertragen. Das Haus ist abbezahlt, und auf der Bank liegt genug für Steuern und andere Ausgaben, sodass Pat für den Rest seines Lebens schon am frühen Morgen draußen herumwerkeln kann, wie er es so gern tut: gärtnern, streichen, beizen, Bäume beschneiden, die Auffahrt und die Stützmauern ausbessern – alles, um seine Hände zu beschäftigen. Manchmal, wenn sie sieht, wie zufrieden Pat und Lydia sind, fühlt sie sich wie ein erschöpfter Lachs: Ihre Arbeit hier ist erledigt. Doch dann wieder geht ihr der bloße Gedanke, mit sich im Reinen zu sein, einfach auf die Nerven. Im Reinen? Wer außer einem Irrsinnigen kann je mit sich im Reinen sein? Welcher Mensch, der das Leben genossen hat, kann glauben, dass eines reicht? Wer kann auch nur einen Tag leben und nicht den süßen Stachel des Bedauerns fühlen?
Bisweilen bei ihren verschiedenen Chemotherapien sehnte sie sich so sehr nach einem Ende der Schmerzen und des Unwohlseins, dass sie sich vorstellen konnte, im Tod Trost zu finden. Das war einer der Gründe für ihre Entscheidung – nach all den Präparaten, Bestrahlungen und Operationen, nach der doppelten Brustamputation, nachdem die Ärzte das gesamte konventionelle und nukleare Arsenal gegen ihren immer schwächeren Körper eingesetzt und trotzdem noch Spuren von Krebs in ihren Beckenknochen entdeckt hatten –, der Sache einfach ihren Lauf zu lassen. Dann war es eben so. Die Ärzte meinten, dass sich vielleicht noch etwas machen ließ, je nachdem, ob es sich um primären oder sekundären Krebs handelte, doch sie wollte nichts mehr davon hören. Pat war nach Hause gekommen, und ein halbes Jahr Frieden war ihr lieber als weitere drei Jahre Spritzen und Übelkeit. Und sie hat Glück gehabt: Jetzt hat sie fast schon zwei Jahre durchgehalten, und meistens hat sie sich dabei sogar gut gefühlt, auch wenn sie bei einem zufälligen Blick in den Spiegel immer noch furchtbar erschrickt: Wer ist diese Ruine, diese große, dürre, flachbrüstige Alte mit den borstigen Haaren?
Debra zieht die Strickjacke enger um sich und macht ihren Tee warm. Sie lehnt sich an die Spüle und beobachtet lächelnd, wie ihr Sohn den zweiten Teller Omelett verschlingt und Lydia sich von ganz oben ein käsebedecktes Pilzstück nimmt.
Pat hebt den Blick, um zu sehen, ob seine Mutter diesen dreisten Diebstahl bemerkt hat. »Du solltest lieber sie erdolchen.«
In diesem Moment hören sie das Knirschen eines Wagens draußen auf dem Kies. Pat wirft einen Blick auf die Uhr. »Keine
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