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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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»Kannst du den Priester bitten, ein Gebet für mich zu sagen?«
    Er versprach es ihr, dann küsste er sie auf die Wange und trat hinaus.
    Auf der Terrasse stand noch immer Alvis Bender und rauchte seine Pfeife. Nachdem er seinem amerikanischen Freund auf die Schulter geklopft hatte, schlug Pasquale den Weg hinunter zum Pier ein, wo das Boot festgemacht war.
    Tomasso der Kommunist warf seine Zigarette weg und scharrte mit dem Fuß darüber. »Siehst gut aus, Pasquale. Deine Mutter wäre stolz auf dich.«
    Pasquale kletterte in das von Fischabfällen verschmierte Boot und setzte sich wie ein Schuljunge an seinem Pult mit aneinandergedrückten Knien in den Bug. Er konnte nicht verhindern, dass sein Blick zur Hotelfassade glitt, wo soeben Dee Moray herausgekommen war und sich zu Alvis Bender gesellt hatte. Die Augen vor der Sonne schützend, schaute sie neugierig zu ihm herab.
    Erneut spürte Pasquale, wie ihn Verstand und Körper in verschiedene Richtungen zerrten, und er wusste wirklich nicht, wer von beiden die Oberhand behalten würde. Würde er im Boot bleiben? Oder würde er den Pfad hinauf zum Hotel laufen, um sie in die Arme zu schließen? Und wie würde sie in diesem Fall reagieren? Es war nie etwas ausgesprochen worden, es gab nichts zwischen ihnen, nichts außer dieser leicht geöffneten Tür. Und doch … was hätte verlockender sein können?
    In diesem Augenblick spürte Pasquale, wie ein Riss durch ihn ging. Ab jetzt hatte er zwei Leben: das eine lag vor ihm, und das andere würde ihn von nun an immer beschäftigen.
    »Bitte«, krächzte Pasquale, »los.«
    Der alte Fischer zog am Seil, doch der Motor machte nur ein heiseres Geräusch.
    Dee Moray rief von der Hotelterrasse: »Pasquale! Wo fährst du denn hin?«
    »Bitte«, flüsterte Pasquale mit zitternden Beinen.
    Endlich sprang der Motor an. Tomasso setzte sich hinten ans Ruder und lenkte das Boot weg vom Pier und hinaus aus der Bucht. Anscheinend hatte Alvis ihr erzählt, dass Pasquales Mutter gestorben war, denn ihre Hand flog zum Mund.
    Und dann zwang sich Pasquale, den Blick abzuwenden. Es war, als müsste er mit äußerster Kraft einen Magneten vom Stahl lösen, doch er schaffte es: Er drehte sich nach vorn und sah sie noch immer vor sich stehen, als er die Augen schloss. Zitternd vor Anstrengung, vermied er es zurückzuschauen, bis sie den Wellenbrecher umrundet hatten und hinaus aufs offene Meer gelangten. Pasquale atmete aus, und der Kopf sank ihm auf die Brust.
    »Du bist ein seltsamer junger Mann«, bemerkte Tomasso der Kommunist.
    In La Spezia dankte Pasquale seinem alten Freund und beobachtete, wie dieser sein kleines Fischerboot aus dem Hafen lenkte, zurück in den Kanal zwischen Portovenere und Isola Palmaria.
    Dann strebte er zu der kleinen Kapelle beim Friedhof, wo der Priester wartete, dessen dünnes Haar frisch gekämmt war. Zwei alte Frauen, die sich offenbar keine Gelegenheit entgehen ließen, einer Beerdigung beizuwohnen, und ein verwilderter Ministrant standen bereit. Schwacher Kerzenschein kämpfte gegen das Dunkel in der leeren, modrig riechenden Kapelle an. Die Totenmesse schien nichts mit seiner Mutter zu tun zu haben, und Pasquale erschrak, als er ihren Namen aus dem lateinischen Geleier des Geistlichen heraushörte (Antonia, requiem aternam dona ei, Domine ) . Nach der Bestattung erklärte sich der Priester bereit, ein Gebet für Pasquales Tante zu sprechen und in einigen Wochen Trigesimo zu lesen, und Pasquale bezahlte den Mann erneut. Der Geistliche hob die Hand zum Segen, doch Pasquale hatte sich bereits zum Gehen gewandt.
    Erschöpft suchte Pasquale den Bahnhof auf, um nach Dee Morays Gepäck zu forschen. Es wartete auf sie. Pasquale gab dem Angestellten Geld und versicherte ihm, dass sie die Koffer am nächsten Tag abholen würde. Dann bestellte er ein Wassertaxi, das Dee Moray und Alvis Bender abholen sollte. Für sich selbst kaufte er eine Bahnkarte nach Florenz.
    Pasquale schlief sofort ein, kaum dass er sich auf seinem Platz niedergelassen hatte, und fuhr erst hoch, als der Zug den Bahnhof von Florenz erreichte. Drei Straßen von der Piazza Massimo d’Azeglio entfernt mietete er ein Zimmer, nahm ein Bad und streifte erneut den Anzug über. Im letzten Dämmerlicht dieses endlosen Tages stand Pasquale rauchend unter den Bäumen, bis er sah, dass Amedeas Familie wie eine weit auseinandergezogene Kolonne von Schnecken von ihrem Abendspaziergang heimkehrte.
    Und als die schöne Amedea Bruno aus dem Kinderwagen hob,

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