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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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und Essen –, und die oberste Etage gehört Dee: Schlafzimmer, Bad mit Whirlpool und ihr Wohnzimmer. Als es gebaut wurde, hatte sie natürlich keine Ahnung, dass sie als Krebspatientin praktisch ständig an diese Räume gefesselt sein und schließlich – nachdem alle Behandlungsansätze erschöpft waren und sie beschlossen hatte, der Krankheit freien Lauf zu lassen – ihre letzten Tage hier verbringen würde. Sonst hätte sie sich vielleicht für etwas Ranchartiges mit weniger Stufen entschieden.
    »Mom? Wir sind da!«
    Jedes Mal, wenn er das Haus betritt, brüllt er die Treppe herauf, und sie tut, als wäre ihr der Grund dafür nicht bekannt. »Ich lebe noch«, möchte sie antworten, aber das wäre zu hart. Sie fühlt keine Bitterkeit, obwohl sie es irgendwie komisch findet, dass die Leute Todkranke wie Aliens behandeln.
    Sie macht sich auf den Weg nach unten. »Wie ist es gelaufen heute Abend? Genug Zuschauer?«
    »Nicht so viele, aber die waren glücklich«, ruft Lydia. »Das Ende hat heute besser funktioniert.«
    »Möchtet ihr was essen?«, fragt Debra. Pat hat nach einer Aufführung immer Hunger, und bei diesem Stück ist der Appetit besonders groß. Nachdem Lydia es fertig hatte, zeigte sie es Debra, die hin- und hergerissen war. Es war das Beste, was Lydia je geschrieben hatte, ein perfekter Abschluss für den Zyklus autobiografischer Werke, den Lydia vor mehreren Jahren mit einem Stück über die Scheidung ihrer Eltern begonnen hatte. Und Debra glaubte ihr gern, dass sie den Zyklus nicht beenden konnte, ohne über Pat zu schreiben. Das Problem an Frontmann war, dass sie sich für Pats Rolle eigentlich nur einen Menschen vorstellen konnte – und das war Pat. Sie und Lydia befürchteten, dass er rückfällig werden könnte, wenn er diese Zeit noch einmal durchleben musste. Schließlich rangen sie sich dazu durch, es ihm zu lesen zu geben. Er nahm die Seiten mit hinunter, und als er drei Stunden später wiederkam, küsste er Lydia und bestand darauf, es zu machen – und selbst die Rolle zu übernehmen. Seiner Meinung nach wäre es schwerer für ihn gewesen, jemand anders zu sehen, der ihn auf dem Zenit seiner Egomanie darstellte, als das alles selbst noch einmal durchzuspielen. Inzwischen arbeitet er seit über einem Jahr mit der Theater Arts Group zusammen, und das bietet ihm ein Ventil für den Wunsch, sich auszudrücken – aber nicht auf die narzisstische Weise, wie es mit seinen Bands der Fall war, sondern in einem disziplinierteren und kooperativeren Rahmen. Und natürlich ist er der geborene Schauspieler.
    Debra schlägt Eier auf, als Pat um die Säule in der Küche biegt und sie auf die Wange küsst. Der Junge füllt immer noch das ganze Zimmer aus. »Schönen Gruß von Ted und Isola.«
    »Ach?« Sie gießt die Eier in die Pfanne. »Und wie geht es ihnen?«
    »Immer noch die gleichen reaktionären Spinner.«
    Sie schneidet Käse für sein Omelett, und Pat klaut jedes zweite Stück. »Hoffentlich hast du ihnen das gesagt«, meint sie. »Mir geht es nämlich allmählich auf die Nerven, dass sie ständig Schecks ausstellen, um das Theater zu unterstützen.«
    »Sie möchten, dass wir Modern Millie machen. Ted will eine Rolle übernehmen. Zusammen mit mir. Kannst du dir das vorstellen? Ich und Ted zusammen in einem Theaterstück.«
    »Weiß nicht, ob du gegen so jemanden wie Ted an kommst.«
    »Und alles nur, weil ich so eine schlechte Lehrerin hatte«, antwortet er. Dann: »Wie fühlst du dich?«
    »Mir geht’s gut.«
    »Hast du eine Dilaudid genommen?«
    »Nein.« Sie hasst Schmerzmittel, will nichts verpassen. »Ich fühle mich bestens.«
    Pat legt ihr die Hand auf die Stirn. »Du bist warm.«
    »Mir fehlt nichts. Du kommst von draußen.«
    »Du doch auch.«
    »Ich war in dem Ofen, den du mir gebaut hast. Wahrscheinlich bin ich durchgegart.«
    Er greift nach dem Schneidbrett. »Lass mich das machen. Ein Omelett kriege ich hin.«
    »Seit wann?«
    »Dann soll Lydia es machen. Von Frauenarbeit versteht sie was.«
    Debra hört auf, Zwiebeln zu schneiden und stochert mit dem Messer in seine Richtung.
    »Kein Stich von allen schmerzt so wie der«, bemerkt er.
    Es ist ein Geschenk, dass er sie manchmal überrascht mit den Dingen, an die er sich erinnert. »Das Stück habe ich früher unterrichtet.« Ohne nachzudenken, zitiert sie ihre Lieblingsstelle: »Der Feige stirbt schon vielmal, eh’ er stirbt, die Tapfern kosten einmal nur den Tod.«
    Pat setzt sich an die Theke. »Das tut weher als das

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