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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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musste Pasquale an die Mahnung seiner Mutter am Strand denken – an ihre Furcht, dass Pasquale ohne ihre Gegenwart nicht imstande sein würde, die Kluft zu überwinden zwischen dem, was er wollte, und dem, was richtig war. Wie gern hätte er seine Mutter beruhigt: Ein Mann will viele Dinge in seinem Leben, doch wenn eins davon auch noch das Richtige ist, wäre er ein Narr, sich nicht dafür zu entscheiden.
    Pasquale wartete, bis die Montelupos in ihrem Haus verschwunden waren. Dann trat er seine Zigarette im Kies aus, überquerte die Piazza und stieg hinauf zu der hohen, schwarzen Tür. Er drückte die Klingel.
    Auf der anderen Seite waren Schritte zu hören, und dann öffnete Amedeas Vater. Er zog den breiten, kahlen Kopf zurück und musterte Pasquale mit grimmigem Blick, als hätte man ihm in einem Café eine ungenießbare Mahlzeit serviert. Hinter ihrem Vater bemerkte Amedeas Schwester Donata Pasquale und drückte die Hand vor den Mund. Hastig wandte sie sich ab und kreischte in den ersten Stock hinauf: »Amedea!« Bruno schaute sich nach seiner Tochter um und wandte sich mit strenger Miene wieder Pasquale zu, der bedächtig den Hut abnahm.
    »Ja?«, fragte Bruno Montelupo. »Sie wünschen?«
    Auf der Treppe hinter ihrem Vater tauchte die geschmeidige, anmutige Amedea auf und schüttelte leicht den Kopf, als wollte sie ihn noch immer davon abbringen … doch unter der Hand, die ihren Mund bedeckte, glaubte Pasquale auch ein Lächeln zu erahnen.
    »Signore Montelupo«, erklärte er, »ich bin Pasquale Tursi aus Porto Vergogna. Ich möchte um die Hand Ihrer Tochter Amedea anhalten.« Er räusperte sich. »Und ich möchte zu meinem Sohn.«

20
    Das unendliche Feuer
    Unlängst
    Sandpoint, Idaho
    D ebra erwacht im Dunkeln, auf der hinteren, den Bäumen zugewandten Veranda ihres Holzhauses, wo sie gern zu den Sternen hinaufblickt. Die Luft ist kühl heute Nacht, der Himmel klar, die Lichtpunkte grell. Eindringlich. Sie blinken nicht, sondern brennen. Wie ein unendliches Feuer. Die vordere Veranda ist dem von Bergen gesäumten Gletschersee zugewandt, und diese Aussicht ist es, die die meisten Besucher zum Staunen bringt. Doch nachts mag sie die vordere Veranda nicht so gern, weil das Licht von den Kais, den Booten und den anderen Häusern die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sie hält sich lieber hier hinten auf, im Schatten des Hauses, in einer klar begrenzten, runden Lichtung aus Kiefern und Tannen, wo nur sie und der Himmel sind, wo sie fünfzig Billionen Kilometer und eine Milliarde Jahre weit sehen kann. Früher war sie keine Himmelsbeobachterin, doch dann heiratete sie Alvis, der gern ins Cascadegebirge fuhr und nach Orten weitab der Lichtverschmutzung suchte. Er betrachtete es als Schande, wenn die Menschen das Unendliche nicht erfassen konnten – ein Versagen nicht nur der Vorstellungs-, sondern der normalen Sehkraft.
    Sie hört knirschenden Kies; das hat sie wahrscheinlich aufgeweckt – Pats Jeep, der sich auf der langen Auffahrt nähert. Sie kommen von der Aufführung nach Hause. Wie lang hat sie geschlafen? Sie greift nach ihrer kalten Teetasse. Eine Weile. Ihr ist wohlig warm, bis auf einen Fuß, der aus der Decke geglitten ist. Pat hat zu beiden Seiten ihrer Lieblingsliege je ein kaminartiges Heizgerät aufgestellt, damit sie hier draußen schlafen kann. Zuerst sträubte sie sich wegen der Stromverschwendung – sie konnte doch bis zum Sommer warten. Doch Pat versprach ihr »bis an mein Lebensende« beim Verlassen eines Zimmers immer das Licht auszuschalten, wenn sie ihm in diesem Punkt nachgab. Und sie muss bekennen, es ist herrlich, hier draußen zu schlafen, und sie ist begeistert, wenn sie in der Kälte erwacht, eingekuschelt in diesen kleinen Brutkasten, den ihr Sohn für sie gebaut hat. Sie stellt die Heizgeräte ab und überprüft die abscheuliche Matte, auf der sie jetzt schläft – trocken, Gott sei Dank. Dann zieht sie ihre dicke Wolljacke eng um sich und macht sich mit noch ein wenig wackligen Beinen auf den Weg ins Haus. Von drinnen hört sie, wie sich unten das Garagentor schließt.
    Das Haus steht auf einem Felsvorsprung sechzig Meter über einer Bucht des tiefen Bergsees. Der vertikale Bau wurde von ihr selbst entworfen und mit dem Geld aus dem Verkauf ihres Heims in Seattle realisiert: vier Stockwerke mit offenem Grundriss und einer Garage für zwei Autos unten. Pat und Lydia haben den ersten Stock für sich, der zweite ist der Gemeinschaftsbereich – ein offener Raum für Wohnen, Kochen

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