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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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Pasquale zum Pier. Er zog sich hinauf und schüttelte das Wasser aus den Hosenbeinen, um sich als seriöser Hotelier präsentieren zu können. »Ja. Ist mein Hotel.« Pasquale deutete auf das kleine, handgeschriebene Schild an der linken Seite der Piazza. »Bitte.«
    »Und … es ist ein Zimmer für uns reserviert?«
    »O ja. Viele sind Zimmer. Für Sie alle Zimmer. Ja.«
    Ihr Blick wanderte von dem Schild zurück zu Pasquale. Eine warme Bö blies in die Strähnen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten, wie in Luftschlangen. Sie lächelte über die Pfütze, die sich unter seiner dünnen Gestalt bildete, und schaute ihm in die meerblauen Augen. »Sie haben reizende Augen.« Mit diesen Worten setzte sie den Hut wieder auf und steuerte auf die kleine Piazza zu, die das Zentrum des winzigen Nests bildete.
    In Porto Vergogna hatte es nie ein Liceo gegeben, daher musste Pasquale nach La Spezia, um dort das Gymnasium zu besuchen. Dort hatte er Orenzio kennengelernt, der zu seinem ersten echten Freund wurde. Mangels Gelegenheiten hielten sie zusammen: der schüchterne Sohn des alten Hoteliers und der kleine Junge mit den abstehenden Ohren vom Hafendamm. In den Winterwochen, wenn die Überfahrt schwierig war, wohnte Pasquale sogar manchmal bei Orenzios Familie. Im Winter vor Pasquales Abschied nach Florenz erfanden er und Orenzio ein Spiel, das sich um Schweizer Bier drehte. Dabei saßen sie am Hafen von La Spezia einander gegenüber und warfen sich Beschimpfungen an den Kopf, bis einer von beiden nicht mehr weiterwusste oder sich wiederholte. Der Verlierer musste dann das vor ihm stehende Glas leeren.
    Als er jetzt das Gepäck der Amerikanerin hochhievte, beug te sich Orenzio zu Pasquale, um eine Trockenversion des Spiels zu beginnen. »Was hat sie gesagt, Sackschnüffler?«
    »Sie mag meine Augen«, antwortete Pasquale, ohne die Herausforderung anzunehmen.
    »Ach komm, Steißfummler«, widersprach Orenzio, »das hat sie bestimmt nicht gesagt.«
    »Doch, wirklich. Sie findet meine Augen toll.«
    »Du bist ein Lügner, Pasqua, und stehst auf Jungs mit dicken Nudeln.«
    »Es stimmt.«
    »Dass du für Jungs mit dicken Nudeln schwärmst?«
    »Nein. Dass sie das über meine Augen gesagt hat.«
    »Du bist ein Bocklutscher. Die Frau ist ein Kinostar.«
    »Könnte ich mir auch vorstellen«, erwiderte Pasquale.
    »Nein, Dummkopf, sie ist wirklich Schauspielerin. Sie gehört zu der amerikanischen Gesellschaft, die in Rom diesen Film dreht.«
    »Welchen Film?«
    » Cleopatra. Liest du keine Zeitung, Scheißeraucher?«
    Pasquale wandte sich nach der Amerikanerin um, die die Treppe zum Dorf hinaufstieg. »Für Cleopatra ist sie doch viel zu hellhäutig.«
    »Cleopatra ist die Hure und Gattenräuberin Elizabeth Taylor«, erklärte Orenzio. »Die da spielt eine andere Figur. Liest du wirklich keine Zeitungen, Kackemampfer?«
    »Welche Rolle hat sie?«
    »Woher soll ich das wissen? Es gibt bestimmt viele Rollen.«
    »Wie heißt sie?«, fragte Pasquale.
    Orenzio reichte ihm die maschinengeschriebenen Anweisungen, die er erhalten hatte. Neben dem Namen der Frau stand auf dem einzelnen Blatt Papier, dass sie zum Hotel in Porto Vergogna gebracht und dass die Rechnung an den Mann geschickt werden sollte, der die Fahrt arrangiert hatte: Michael Deane, zurzeit Grand Hotel in Rom. Dieser Michael Deane war, so die Angaben, »Public-Relations-Assistent« bei »20th Century Fox Pictures«. Und die Frau hieß …
    »Dee … Moray«, las Pasquale laut. Der Name war ihm nicht bekannt, aber es gab so viele amerikanische Filmstars – Rock Hudson, Marilyn Monroe, John Wayne –, und sobald er glaubte, alle zu kennen, wurde wieder ein neuer berühmt, fast als gäbe es in Amerika eine Fabrik, in der diese riesigen Leinwandgesichter hergestellt wurden. Pasquale blickte nach hinten, wo die Frau bereits die letzten Stufen vor dem eigentlichen Eingang zum Ort erreicht hatte. »Dee Moray«, raunte er erneut.
    Orenzio schaute über Pasquales Schulter auf das Blatt. »Dee Moray.« Der Name hatte etwas Faszinierendes, und beide konnten nicht aufhören, ihn zu wiederholen. »Dee Moray.«
    »Sie ist krank«, stellte Orenzio schließlich fest.
    »Was hat sie?«
    »Woher soll ich das wissen? Der Mann hat nur gesagt, dass sie krank ist.«
    »Was Ernstes?«
    »Das weiß ich auch nicht.« Und dann, als wäre nun auch ihm die Luft ausgegangen und als hätte er das Interesse an ihrem alten Spiel verloren, fügte Orenzio eine weitere Beschimpfung hinzu: »Mangiaculo.«

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