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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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hast du einen Stuhl für deinen kleinen Strand, Pasquale!« Nach Wochen fast übermenschlicher Freundlichkeit war der sanfte Spott eine Erleichterung, wie ein Platzregen über dem Dorf. Endlich ging das Leben wieder seinen normalen Gang. »Pasquale, gestern hab ich in Lerici einen Teil von deinem Strand gesehen. Soll ich den restlichen Sand auch raufbringen, oder wartest du lieber, bis die Strömung ihn dort abliefert?«
    Ein Strand war etwas, was die Fischer wenigstens verstehen konnten, denn es gab Strände in Monterosso al Mare und in den nördlicheren Orten der Riviera, wo sie den größten Teil ihres Fangs verkauften. Als Pasquale allerdings seine Absicht verkündete, in den Klippen aus einer Gruppe von Felsblöcken einen Tennisplatz zu meißeln, stand für die Fischer fest, dass Pasquale noch verschrobener war als sein Vater. »Der Junge hat den Verstand verloren«, erklärten sie, als sie von der kleinen Piazza aus beim Zigarettendrehen beobachteten, wie Pasquale über die Gesteinsbrocken flitzte und mit einer Schnur die Grenzen seines künftigen Courts markierte. »Das ist eben eine Familie von Pazzi. Passt auf, bald redet er mit Katzen.« Da er nur steile Felswände zur Verfügung hatte, wusste Pasquale, dass ein Golfplatz nicht infrage kam. Doch in der Nähe seines Hotels gab es eine natürliche Felsbank aus drei Steinblöcken, und wenn er ihre Oberflächen angleichen und den Rest auskragen konnte, war es vielleicht möglich, Formen zu bauen und genug Beton hineinzugießen, um die Blöcke zu einem flachen Rechteck zu verbinden und daraus – wie eine Vision, die sich aus den Felsklippen erhob – einen Tennisplatz entstehen zu lassen, der den vom Meer eintreffenden Besuchern zeigte, dass sie einen erstklassigen Ferienort vor sich hatten. Wenn er die Augen schloss, sah er es vor sich: Männer in sauberen weißen Hosen, die Bälle hin- und herschlugen auf einem Court, der in atemberaubender Weise über die Klippen hinausragte, eine fantastische Platte, zwanzig Meter über der Küste, wo Frauen in luftigen Kleidern und Sommerhüten unter Sonnenschirmen Drinks genossen. Also arbeitete er unverdrossen mit Pickel und Meißel und Hammer, in der Hoffnung, eine ausreichende Fläche für einen Tennisplatz schaffen zu kön nen. Er harkte seine Sandschicht. Er warf Steine ins Meer. Geduldig ertrug er die Hänseleien der Fischer. Er sah nach seiner sterbenskranken Mutter. Und er wartete – wie er es immer getan hatte – darauf, dass das Leben kam und ihn fand.
    Dies war nach dem Tod seines Vaters zehn Monate lang die Summe von Pasquale Tursis Existenz. Und wenn er auch nicht unbedingt glücklich war, unglücklich war er auch nicht. Stattdessen hauste er wie die meisten Menschen auf einem riesigen, leeren Plateau zwischen Langeweile und Zufrie denheit.
    Und vielleicht hätte er dort sein ganzes Leben verbracht, wenn Pasquale nicht an diesem kühlen, sonnigen Nachmittag bis auf Brusthöhe im Wasser stehend aus zwanzig Metern Entfernung beobachtet hätte, wie an den Holzbollern des Piers das Mahagoniboot mit der schönen Amerikanerin an Bord zur Ruhe kam, während um sie herum eine sanfte Brise das Meer kräuselte.
    Sie war unglaublich dünn und hatte doch ziemliche Rundungen, diese schöne Amerikanerin. Aus Pasquales Blickwinkel – sie hatte das flackernde Sonnenlicht im Rücken, und der Wind fuhr ihr ins weizenblonde Haar – war es, als gehörte sie einer anderen Gattung an, größer und ätherischer als jede Frau, die er je erblickt hatte. Orenzio bot ihr eine Hand, und nach kurzem Zögern nahm sie sie. Er half ihr vom Boot auf den schmalen Pier.
    »Danke«, ließ sich eine unsichere Stimme unter dem Hut vernehmen. Dann: »Grazie.« Sie hauchte das italienische Wort, es wirkte ungewohnt. Mit einem leichten Schwanken machte sie ihren ersten Schritt in Richtung Dorf, dann fand sie ihr Gleichgewicht wieder. In diesem Moment nahm sie ihren Hut ab, um den Ort genauer in Augenschein zu neh men. Zum ersten Mal sah Pasquale ihr ganzes Gesicht und war ein wenig erstaunt, dass die schöne Amerikanerin nicht … nun … schöner war.
    Sicher, sie war reizend, aber nicht so, wie er es erwartet hatte. Zunächst war sie so groß wie Pasquale, knapp über eins achtzig. Und waren ihre Züge nicht ein wenig überladen für ein derart schmales Gesicht – die ausgeprägte, abfallende Kieferkontur, der volle Mund, die Augen so rund und offen, dass sie erschrocken wirkten? Und konnte eine Frau zu dünn sein, sodass ihre Rundungen jäh

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