Schrecken der Nacht
Verhalten des Blutsaugers irritierte ihn. Eros lag nicht falsch, wenn er von der Nähe des Kreuzes sprach, das ihn persönlich unbeeindruckt ließ. Er sah auch den Schatten, er hätte sich zurückziehen müssen, aber er blieb stehen wie ein Sieger.
»Nimm es, Mönch! Los, nimm es und komm damit auf mich zu. Ich warte darauf...«
Radescu wußte nicht, ob er es wirklich tun sollte. Er schnaufte durch die Nase, und das Geräusch wurde auch von Eros gehört. »He, was ist? Hast du plötzlich Angst vor deiner eigenen Courage? Willst du mich nicht mehr vernichtet sehen? Komme ich dir zu stark vor, frommer Mann? Das darf doch nicht sein. Du hast mich gejagt, du warst doch sicher, Sieger sein zu können. Bitte, jetzt kannst du es beweisen.«
Radescu hatte sich den Ablauf der Begegnung anders vorgestellt. Er hatte mit der Angst des Blutsaugers vor dem Kreuz als Waffe gerechnet, aber genau das Gegenteil war eingetreten. Eros behandelte es lächerlich, wie einen Gegenstand, der für ihn überhaupt nichts wert war und der ihm erst recht nicht gefährlich werden konnte.
Das brachte Radescu durcheinander. Er sah seine Welt auf den Kopf gestellt. Hier stimmten die Begriffe Gut und Böse nicht mehr, und für einen Moment wurde er wieder daran erinnert, was man sich hinter dicken Mauern über Eros erzählte. Radescu hatte es nie wahrhaben wollen, nun aber kamen ihm Zweifel.
Der Vampir beherrschte die Szene. Er beugte seinen Oberkörper zurück und streckte die Arme so weit zu den Seiten hin wie eben möglich. »Warum kommst du nicht mit deinem Kreuz zu mir? Teste mich, mein Freund! Ich warte darauf!«
Von der Seite her schickten ihm die Flammen des Feuers Licht und Schatten entgegen. Sie spielten mit der Gestalt und gaben ihr ein ständig wechselndes Aussehen.
Bisher war Radescu siegessicher gewesen. Allmählich sah er ein, daß der Kampf wohl schwerer werden würde, als er gedacht hatte. Er dachte sogar für einen Moment an einen Rückzug, doch dann hätte er nie mehr in den Spiegel sehen können.
Noch einmal schaute er ihn an. Diesmal direkt in die Augen. Um die Pupille herum hatte sich ein rötlicher Schein gebildet. Radescu wußte nicht, ob es vielleicht Blut war, das in den Augenhöhlen lag, oder ein Erbe des Feuers. Jedenfalls wirkte das Gesicht dieser Gestalt noch fürchterlicher.
»Wir haben uns hier getroffen!« erklärte der Mönch. »Und wir sind hergekommen, um es auszutragen. Dabei bleibe ich auch. Ich werde nicht nachgeben. Ich will dich vernichtet sehen. Ich will keine weiteren Leichen mehr. Kein Blut, auch keine Angst. Lange genug habe ich mich auf diesen Augenblick vorbereiten können. Ich will dich vernichten, und ich will dich dabei brennen sehen...«
Er hatte die Worte sehr genau gewählt, denn sie sollten ihm Mut machen. Mit einer schnellen Bewegung drehte er sich nach rechts und hielt endlich das große Holzkreuz fest.
Beide Hände hatte er unter den Querbalken gelegt und hob diese schwere Waffe an. Sie kam ihm nicht schwer vor. Er konnte sie tragen, als hätte sie nur noch die Hälfte an Gewicht. Das Feuer schob sein unruhiges Licht gegen ihn und hüllte ihn ein wie die dunklen, flatterhaften Scherben eines zersprungenen Spiegels.
Der Mönch hatte in seinem Leben immer auf das Kreuz gesetzt. Wenn es ihm einmal schlecht ergangen war, dann hatte das Kreuz ihm immer wieder neuen Mut gegeben. Auch an diesem Abend war das nicht anders gewesen, doch jetzt, als er es mit beiden Händen festhielt, um es einsetzen zu können, da erreichten ihn die ersten Bedenken. Er war sich plötzlich nicht mehr so sicher. Die Rederei des Blutsaugers hatte ihn durcheinandergebracht und dessen Verhalten noch mehr.
Eros tat nichts!
Er blieb einfach stehen. Sein Gesicht zu einem heimtückischen Lächeln verzogen, die Arme vorgestreckt, die Hände ebenfalls, und er bewegte lockend seine Finger mit den spitzen Nägeln. Er wollte, daß der Mönch zu ihm kam.
Wäre er ein normaler Vampir gewesen, dann hätte er schon jetzt schreiend die Flucht ergreifen müssen. Aber er war kein normaler Vampir, er war etwas anderes, was auch dem Mönch genau in diesem Moment klar wurde. Nur war es für eine Umkehr zu spät.
Er mußte noch einen Schritt auf seinen Feind zugehen, um das zu erreichen, was er wollte. Das Kreuz war in den letzten Sekunden verflixt schwer geworden. Er spürte das Gewicht in den Armen. Auch das hatte er sich anders vorgestellt, doch ihm fehlte einfach die Kraft, die er noch vor einer halben Minute gehabt
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