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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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früh aufstehen müssten. Dann erhoben sie sich und erledigten die verschiedenen Aufgaben, machten das Licht aus, verschlossen die Türen, gingen ins Bad und dann ins Bett.
    Aber Beatrice war ein Schatz, Beatrice war ein Engel, sie war gut in der Schule, sie war beliebt. Ruth liebte sie, bewunderte sie, war stolz auf sie und, ja, sie liebte Andrew auch. Natürlich liebte sie ihn.
    Wie viel Glück sie trotz allem gehabt hatte, hielt sie sich vor, weil sie zwei schöne Töchter bekommen hatte und so zweimal gesegnet war. Und außerdem hatte sie gleich zwei freundliche und liebevolle Männer getroffen, die, jeder auf seine Weise, eine Stütze waren, und überall gab es Menschen, die keine Kinder oder keinen Mann oder keines von beidem hatten, für die das Glück aus irgendeinem Grund immer unerreichbar war.
    Da sie all das wusste, hätte sie doch eigentlich glücklicher sein müssen?

6
     
    Im Dezernat war Liam Noble seit neun Monaten für Erkenntnisse über gefährliche Täter und Sexualverbrecher zuständig. Er operierte innerhalb der MAPPA, einem Zusammenschluss verschiedener Behörden zum Schutz der Öffentlichkeit. Sein Schwerpunkt waren stark rückfallgefährdete Täter, die nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis verschiedene Grade der Überwachung benötigten.
    Noble hatte früher in der Bewährungshilfe gearbeitet und davor beim Sozialamt, eine Karriere, die ihn zum idealen Mann für die vorliegende Aufgabe machte, wie seine Vorgesetzten betont hatten, als er ernannt wurde.
    »Wenigstens wissen Sie, wie die Typen ticken«, hatte einer gesagt.
    Worauf Noble beinahe geantwortet hätte: Die Typen ticken genauso wie Sie und ich. Natürlich wusste er, dass es Situationen gab, in denen das nicht wirklich zutraf. Und die Fähigkeit, sich teilweise in die Köpfe der Bewährungshelfer und Sozialarbeiter hineinzuversetzen, die ihm bei den Treffen der MAPPA gegenübersaßen, trug ebenso zur Verwirrung wie zur Aufhellung bei, wie er festgestellt hatte.
    Als »kooperierend« war sein Umgang mit Kollegen in seiner letzten Beurteilung beschrieben worden, eher umgänglich als fordernd. Dahinter stand natürlich die unausgesprochene Empfehlung, dass von Fall zu Fall etwas klarere Direktiven angebracht wären.
    Das wollte Noble gerade ausprobieren, als Will Grayson an seine Tür klopfte. Er hatte einen leitenden Sozialarbeiter am Apparat und das Gespräch darüber, ob es geboten sei, dieStiefkinder eines kürzlich entlassenen Straftäters in Pflege zu geben, war auf irritierende Weise im Kreis verlaufen.
    »Will«, sagte er. »Kommen Sie herein. Setzen Sie sich. Ich bin hier fast fertig.«
    Er schien erleichtert zu sein über die Unterbrechung. »Nein«, sagte er dann ins Telefon hinein, »ich denke, Sie sollten das Verfahren auf jeden Fall einleiten. Unbedingt. Tun Sie es noch heute. Es ist nicht gut, die Kinder einem Risiko auszusetzen.« Er hörte einen Augenblick zu, dann: »Ja. Ja, richtig. Sie informieren mich.«
    Als er den Hörer ablegte, stieß Noble einen langen befriedigten Atemzug aus, bevor er sich an Will wandte. »Unnötig zu fragen, warum Sie hier sind.«
    »Um mir die Zeit zu vertreiben?«
    Noble lachte. »Mitchell Roberts, richtig?«
    »Wann wollten Sie es mir erzählen?«
    »Ich dachte, Sie würden es früh genug herausfinden.«
    »Und wie lange wissen Sie es schon? Ein paar Monate?«
    Noble schüttelte den Kopf. »Sechs Wochen.«
    »Ich war der Meinung, die Strafvollzugsbehörde müsste die Entlassung drei Monate vorher ankündigen.«
    »Nur bei Gefangenen der Stufe drei.«
    »Und Roberts ist nicht Stufe drei? Er gehört nicht der höchsten Risikogruppe an?«
    »Das Risiko ist nicht hoch genug.«
    »Erzählen Sie das mal Martina Jones«, sagte Will. »Erzählen Sie das der nächsten Zwölfjährigen, die er in die Finger kriegt.«
    Noble seufzte und rutschte ein Stück auf seinem Stuhl vor. »Es gibt keinen Hinweis, dass Roberts ein Serientäter ist, es gibt keine einschlägige Vorgeschichte. Das Geschehen war ein isolierter Vorfall.«
    »Schwachsinn.«
    »Wie bitte?«
    »Bei Leuten wie Roberts gibt es ein Muster. Sie wissen das genauso gut wie ich.«
    »Es gibt auch ein erstes Mal.«
    »Und dafür halten Sie es? Haben Sie die Protokolle vom Prozess gelesen? Die Bilder gesehen? So etwas geschieht doch nicht aus heiterem Himmel. Es gibt nur einen einzigen Grund, aus dem wir nichts darüber wissen: Entweder war er clever oder er hatte verdammtes Glück oder beides.«
    »Will, Will, wütend zu werden bringt

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