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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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weiße Bluse und einen grünenFaltenrock trug, schrie plötzlich auf. Einer der Jungen hatte ihr die Mütze vom Kopf gerissen und durch die Gegend geschleudert. Sie landete ganz in der Nähe von Roberts.
    Bevor das Mädchen reagieren konnte, hatte Roberts, der sich mit erstaunlicher Schnelligkeit bewegte, die Mütze aufgehoben und hielt sie dem Kind am ausgestreckten Arm hin.
    »Hier. Hier ist sie.«
    Will las ihm die Worte von den Lippen ab.
    Das Mädchen zögerte, dann sprang es vor, nahm die Mütze, ohne Roberts direkt ins Gesicht zu sehen, und wich zurück.
    »Sag Danke schön«, rief ihre Mutter.
    Will stellte sich vor, dass das Mädchen »vielen Dank« sagte, obwohl er die Worte nicht hören konnte.
    Als sie zu ihrer Mutter zurückrannte, waren Wills Augen auf Mitchell Roberts’ Gesicht geheftet, auf das Lächeln, das noch darin stand: die Katze, die soeben die Sahne entdeckt hat.
     
    »Was zum Teufel haben Sie sich dabei gedacht?«, fragte Liam Noble.
    Sie trafen sich auf der Treppe zwischen dem ersten und zweiten Stock an der Parkside, Noble war auf dem Weg nach oben zur Kriminalpolizei, Will wollte das Gebäude verlassen.
    »Nichts weiter«, sagte Will, ohne richtig stehen zu bleiben. »Ich geh nach Hause. Ich habe Lorraine versprochen, da zu sein, bevor sie Susie zu Bett bringt.«
    »Will, warten Sie   …«
    Er blieb stehen und drehte sich um.
    »Sie wissen, was ich meine«, sagte Noble.
    »Heute Mittag?«
    »Ja, heute Mittag.«
    »Ich habe einen potenziellen Wiederholungstäter ins Visier genommen. Jemand muss das tun.«
    »Nicht Sie.«
    »Nein? Nun, wenn niemand anders einspringt, muss ich es eben selbst tun.«
    »Es geht Sie nichts an, Will. Nicht mehr.«
    »Tja   …« Er wandte sich ab und ging weiter nach unten.
    Noble holte ihn kurz vor dem Parterre ein und blieb stehen, verstellte ihm den Weg. Stimmen kamen aus der Eingangshalle: Einer der Polizeibeamten vom Dienst wiederholte mehrfach, was er zu sagen hatte.
    »Hören Sie«, sagte Will, »ich verstehe gar nicht, warum Sie sich so aufregen. Ich habe nicht mit ihm gesprochen, ich habe nicht eingegriffen. Ich bezweifle, dass er meine Anwesenheit überhaupt bemerkt hat. Sobald ich wieder hier war, habe ich Ihnen eine E-Mail geschickt und meine sehr realen Befürchtungen dargelegt.«
    »Das ist unsere Angelegenheit, Will, nicht Ihre.«
    »Kaum entlassen, lungert er bei der ersten Gelegenheit an einer Schule herum. Ich würde sagen, das gibt Anlass zur Sorge, Sie nicht auch?«
    Noble schüttelte den Kopf. »Ich habe Ihre E-Mail gelesen, Will, und auf dem Stadtplan nachgesehen. Roberts war eine gute halbe Meile von der bewussten Schule entfernt, wenn nicht noch weiter.«
    »Eine halbe Meile entfernt, aber auf einem Weg, den einige der Kinder nehmen   …«
    »Will, überall gibt es Kinder. Sie wissen das so gut wie ich. Wir können ihm keine Scheuklappen verpassen oder ihn an einer Leine führen.«
    »Umso schlimmer.«
    »Wenn er sich direkt an der Schule herumgetrieben hätte, an irgendeiner Schule oder irgendeinem Spielplatz, irgendeinemOrt, an dem er die Bedingungen verletzt, unter denen er entlassen wurde, würden wir sofort Alarm schlagen und seine erneute Inhaftierung beantragen. Wir würden da nicht zögern.«
    »Gut. Aber zeigen Sie mir, wie Sie das in Erfahrung bringen wollen.«
    »Das habe ich Ihnen gesagt. Wir kontrollieren ihn zu einem Grad, der dem zugrundeliegenden Risiko entspricht.«
    »Sie machen was?«
    »Und jedem Anstieg dieses Risikos wird nach entsprechender Beurteilung begegnet.«
    »Und bis es so weit ist, hat er es wieder getan.«
    »Das bezweifle ich sehr.«
    »Ach ja? Dann hätten Sie heute Nachmittag mal den Ausdruck auf seinem Gesicht sehen sollen.«
    »Halten Sie sich raus, Will. Gehen Sie ihm aus dem Weg. Bitte zwingen Sie mich nicht, über Ihren Kopf hinweg zu handeln.«
    Will nagelte ihn mit einem Blick fest. »Ich mache meine Arbeit, wie ich es für richtig halte, Liam. Ich schlage vor, Sie tun das Gleiche.«
    Er umrundete Noble, stürmte aus dem Gebäude und auf den Parkplatz. Wenn Helen da gewesen wäre und nicht auf dem Rückweg vom Gericht, wenn sie bei ihrem VW gewartet hätte, hätte er vielleicht eine Zigarette geschnorrt, die erste seit Jahren. Stattdessen stieg er in sein Auto, drehte den Zündschlüssel um und ließ den Motor im Leerlauf laufen, während er das Radio anschaltete: Schon wieder hatte ein Jugendlicher in Südwales Selbstmord begangen, inzwischen waren es fast zwanzig Fälle. Die

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