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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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der Meßlatte. Seine Mutter kam mit Ölzant wieder aus dem Haus, Roman trat vom Fenster einen Schritt zurück.
    Die Grenzsteine wurden gesetzt. Die Mutter war unzufrieden mit diesen Steinen. Ganz primitiv hat er gearbeitet, dein Ölzant, sagte sie beim Abendessen. Sind wirklich keine Verzierungen drauf? Nein.
    Ein stummer Satz. Nichts mehr zu entziffern. Leere Grenzzeichen, sonst nichts.
    Am nächsten Tag wurde der Zaun geliefert. Die zweitausend Quadratmeter um das Haus wurden eingezäunt. Ein einfacher Maschendrahtzaun. Das genügt, sagte seine Mutter, was soll ich mehr Geld ausgeben, der tut es auch.
    Ihr ging das Geld aus, dachte er, wovon wollte sie leben? Die Landwirtschaft hatte jetzt Richard, und ein Bauernhaus mit zweitausend Quadratmetern Grund bringt kein Einkommen. Er sah zu, wie der Zaun aufgestellt wurde. Zuerst die Metallsteher. Dann wurde der Drahtzaun aufgerollt und von Steher zu Steher gespannt. Ein Drahtgeflecht um ihn herum, das sah nicht aus wie ein einfacher Gartenzaun, das wirkte bedrohlich, das sah nach Quarantäne aus, nach Anhaltelager, er stand am Fenster und sah zu, wie er umzäunt und weggesperrt wurde.
19.
    STEINLIED
    Großvater, Großvater, Großvater Stein,
    Alter Zauberer, düster und grau.
    In der Opferschale silberner Tau
    Und Blut von Tieren, Blut von der Trau,
    Mein Herz schlägt als Blitz in dich ein
    Fährt durch den Leib dir wie Sturm und beschwört
    Dich, wie früher zu halten Gericht
    Über Mord und Frevel, und dein Gewicht
    Zermalme jeden, der das Gesicht
    Von Großmutter Erde zerstört!
    Sollte man den Autor solcher Zeilen verhaften und einsperren? Man mag mit Ja antworten und es doch nur rhetorisch meinen. Drei Wochen nachdem Trisko den ersten Akt seines neuen Theaterstücks, das mit dem »Steinlied« begann, in der regionalen Literaturzeitschrift Findling veröffentlicht hatte, wurde er tatsächlich von der Polizei verhört und schließlich in Beugehaft genommen.
    Vinzenz Trisko hatte kein Glück mit seinen literarischen Ambitionen.
    Daß für das kommende Jahr eine Reihe von Theaterabenden in der Mehrzweckhalle geplant war, als kulturelles Programmangebot für die Touristen, die man erwartete, hatte seinen Ehrgeiz angestachelt. Und als ehrenamtlicher provisorischer Organisator des Steinbruchmuseums war er auf einen Stoff gestoßen, den er zu einem neuen Stück verarbeiten wollte. Er hatte entdeckt, daß der Steinbruch einen jüdischen Eigentümer gehabt hatte und 1938 arisiert worden war. Über das weitere Schicksal des ehemaligen Eigentümers war nichts herauszubekommen, wahrscheinlich, dachte Trisko, ist er mit seiner Familie in einem Konzentrationslager umgekommen. Jedenfalls ist er nach 1945 nicht mehr aufgetaucht, um Regreßforderungen zu stellen. Während des Krieges wurden hauptsächlich Zwangsarbeiter im Steinbruch beschäftigt, Trisko fand Unterlagen, aus denen hervorging, daß in sehr kurzen Abständen immer neue Zwangsarbeiter angefordert wurden – offenbar sind diese Menschen sehr rasch an brutalen Arbeitsbedingungen und unzureichender Ernährung zugrunde gegangen. Wenige Wochen vor Kriegsende kam es zu einem Fluchtversuch vor allem von tschechischen Zwangsarbeitern, die fast alle erschlagen und erschossen wurden.
    Trisko sah die Dokumente des Betriebsarchivs des Steinbruchs durch, forschte im Gemeindearchiv und konzipierte schließlich ein Stück mit dem Arbeitstitel »Das Denkmal«. Das Stück sollte von dem tatsächlichen Beschluß des Gemeinderats im Jahr 1956 ausgehen, auf dem Hauptplatz von Komprechts aus dem Granit unseres Steinbruchs ein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus zu errichten. Rückblenden auf die Steinbruchgeschichte sollten konterkariert werden mit den Diskussionen des Gemeinderats, die am Ende dazu führten, ein Kriegerdenkmal aufzustellen, mit dem Text Sie gaben ihr Leben hin für die Heimat, und einer alphabetischen Liste jener Komprechtser, die als Soldaten im Krieg gefallen sind.
    Aber es war nicht dieses Stück, das Trisko schließlich schrieb, nicht dieses Stück, das zu einem landesweit diskutierten Skandal werden sollte. Warum hat es Trisko nicht ausgearbeitet? Schon in »Steinreich« hatte er sich mit der Geschichte von Komprechts beschäftigt, »Das Denkmal« wäre die logische Fortsetzung gewesen.
    Bei der Entscheidung, dieses Stück doch nicht zu schreiben, hat vor allem die Tatsache eine Rolle gespielt, daß die Einrichtung eines Steinbruchmuseums fix beschlossen wurde. Dieses Projekt war einige Zeit in der

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