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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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das Haus umbauen und herrichten, wie sie wollte, es half nichts, man wurde verrückt dort drinnen. Jetzt wollte sie um Förderung ansuchen, das Dach ausbauen und den Stall umbauen zu Fremdenzimmern. Und mit Hinterglasmalerei hatte sie angefangen. Es wurde immer grotesker. Jetzt war sie eine Bio-Bäuerin ohne Grund und Boden und malte Kräuter auf kleine Glasscheiben. Die wird sie dann den Verrückten andrehen, die im Stallapartment Urlaub am Bauernhof machen.
    Er fand keine Formulierung, die der Wahrheit entsprach, die Mutter aber nicht verletzen würde. Vielleicht später einmal. Ich muß jetzt Schluß machen, schrieb er, ich werde schon aufgerufen. Natürlich wurde er nicht aufgerufen, aber er hatte genug von diesem Blatt Papier, und er wollte zeitlich nicht ins Gedränge kommen. Bald schreibe ich ausführlicher. So! Unterschreiben. Dein Dich liebender Sohn – ja, das war auch schon egal, darauf kam es jetzt nicht mehr an: Romy
25.
    Auf dem Tisch lagen die Einreichpläne für den Hausumbau, auf den Plänen sein Brief, ihre Autoschlüssel und die Wagenpapiere. Wie lange war der Brief hier gelegen, wie oft hatte sie ihn gelesen, nicht mehr gelesen, angestarrt?
    Nun stand sie vor dem Tisch, aufbruchbereit, in einem Kostüm für die Stadt, gut, daß sie es doch nicht weggegeben hatte, jetzt paßte es ihr wieder.
    Dein Auto steht am Flughafen Wien-Schwechat, Parkhaus B, OG 2, Platz 216. Schlüssel und Papiere lege ich bei. Es tut mir leid, daß ich Dir
    Sie steckte Brief, Schlüssel und Papiere in ihre Handtasche. Sie verließ das Haus, ging in den Ort hinauf, zur Bushaltestelle. Sie ging wie in Trance.
    Sie war die einzige, die bei der Bushaltestelle auf der Bank saß und wartete. Starr saß sie da, wartete und schaute. Aus allen Häusern, von überall her kamen Menschen, zu Fuß, mit Mopeds, auf Fahrrädern. Der ganze Ort war auf den Beinen. Der Platz war bald voller Menschen, die hier zusammenströmten, es bildeten sich Gruppen, die sich in Bewegung setzten, ein Gewimmel von Menschen, aber kaum einer sah zu der Frau hin, die da saß und auf den Bus wartete.
    Sie fror. Die Menschen gingen die Straße hinunter, die zur Glasfabrik führte, der Hauptplatz leerte sich, da kam der Bus. Er war vollbesetzt, und sie mußte lange neben der offenen Tür warten, bis alle ausgestiegen waren. Dann stieg sie ein, nun war sie der einzige Fahrgast im Bus nach Peugen. Dort wollte sie den Anschlußzug nach Wien nehmen.
    Die Menschen strömten an der Glasfabrik vorbei, hin zum Grenzübergang. Bilder von dem, was sich dort ereignete, waren wenig später im Fernsehen und am nächsten Tag in allen Zeitungen zu sehen. Der österreichische und der tschechoslowakische Außenminister stemmten gemeinsam den Grenzbalken in die Höhe, umringt von den Bürgermeistern der umliegenden Gemeinden, Vertretern der Landesregierung, Sekretären, Würdenträgern, die applaudierten und lachten, dann schnitten die Außenminister mit großen Zangen symbolisch Löcher in den Stacheldrahtzaun der Grenzsicherung. Die Grenze wurde geöffnet, der Eiserne Vorhang zwischen den beiden Staaten wurde abgebaut. Ein historischer Augenblick, weniger als ein Jahr nachdem die Komprechtser Feuerwehr diese Grenze durchbrochen hatte. Den neuen Grenzbalken mußten die beiden Außenminister drei- oder viermal heben, bis die Kameramänner und die Fotoreporter zufrieden waren.
26.
    Ich glaube, Sie können abschalten. Ich versteh das nicht. Auf der Kassette steht Okt. 89 ENDE. Aber da ist nichts drauf. Das muß er wieder gelöscht haben. Was hat er da gelöscht? Und warum? Glauben Sie, kann man das rekonstruieren?
    Wer sagt denn, daß er gelöscht hat? Vielleicht hat er gar nichts mehr aufgenommen. Vielleicht wollte er nicht mehr dauernd mit der Kamera herumrennen. Vielleicht ist er, wie soll ich sagen, aufgewacht. Alptraum aus und zu Ende. Und er hat deshalb auf seine letzte leere Kassette einfach draufgeschrieben: ENDE.

 
    Die Arbeit des Autors am vorliegenden Text wurde durch den Deutschen Literaturfonds e. V. und durch ein Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien gefördert.
     
    Das Manuskript wurde mit dem Marburger Literaturpreis ausgezeichnet.

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