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Schuhwechsel: Als Hausfrau auf dem Jakobsweg

Schuhwechsel: Als Hausfrau auf dem Jakobsweg

Titel: Schuhwechsel: Als Hausfrau auf dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Villas
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hinaus in die Natur und ich
flüchte aus diesem bestimmt sehr hübschen Dorf.
    Nach 22 km erreiche ich die Herberge, in der mein Rucksack
auf mich wartet. Es ist früher Mittag und ich bin einer der ersten Pilger, die
hier eintreffen. Es gibt einen Schlafsaal mit 48 hölzernen Stockbetten, die
sehr eng beieinander stehen. Ich suche mir ein Bett am Fenster und breite
meinen Schlafsack heute in einem der oberen Betten aus.
    Die noch sauberen Duschen nutze ich sofort und setze mich,
im Anschluss an die Körperpflege, mit meinem Notitzbüchlein in die Wiese vor’s
Haus. Das Tagwerk ist vollbracht, meine Füße sind müde, wie jeden Tag, aber
noch immer ohne Blasen und Schrunden.
    Weil mich in diesem Leben nichts jemals mehr fasziniert
hat, als das lebendige Leben selbst, habe ich natürlich viele Seminare,
Rückführungen, Trancereisen und anderes zu diesem Thema absolviert. Ich bin
mehrmals dem Tod begegnet und habe ihn erforscht, auch um das Leben besser zu
verstehen.
    Zuweilen sehe ich Bilder, die sowohl aus der Vergangenheit
als auch aus der Zukunft kommen. Manchmal kann ich mich in die Seelen von
Menschen und Situationen einfühlen, auch wenn sie weit weg sind. Frankreich ist
das Land, das ich nicht mag und die Sprache, die ich nicht spreche, vermutlich,
weil ich in einem der letzten Leben dort umgekommen bin. Das mag jetzt stimmen
oder auch nicht, aber als Hape seine Geschichte als Mönch in Polen erzählte,
erinnerte ich mich an mein Bild aus Frankreich.
    Wie gesagt, ich habe nur ein Bild, aber in diesem gibt es
einen herbstlichen Laubwald und mich, als ein junger Soldat. Irgendwo in
Frankreich, nicht weit entfernt von der deutschen Grenze, mitten in der Front.
In diesem Bild sehe ich mich erschöpft und panisch unter frisch gefallenem Laub
verstecken, aber berittene Soldaten in graubraunen Uniformen finden mich
trotzdem und machen kurzen Prozess. Ich bin sofort tot, finde es aber nicht
schlimm, denn nun ist endlich die Angst weg.
    Es fühlte sich an, als wäre ich noch ein halbes Kind
gewesen. So jung, so weit weg von zu Hause, frierend, hungrig, verzweifelt,
ohne Orientierung und ohne Plan, verirrt in den Wäldern, umgeben vom Feind.
Dieser wochenlange Dauerstress war zu viel für mich und der Tod kam mir wie
eine Erlösung entgegen.
    Ich bin dem nie genauer nachgegangen und weiß deshalb noch
nicht einmal, ob es der erste oder der zweite Weltkrieg war und auf welcher
Seite ich stand. Es gibt nur diese Szene in meinem Kopf.
    In diesem jetzigen Leben war ich schon immer sehr
abenteuerlustig und auf der Suche nach dem, was ich eigentlich suche. So reiste
ich als junge Frau kreuz und quer durch die Gegend. Mit einem alten Golf und
einem klugen Schäferhund an meiner Seite, hatte ich alles was ich brauchte. Mit
Anfang 20 braucht man eh nicht viel.
    Meistens arbeitete ich im Sommer und sobald es kühler und
dunkler wurde, zog es mich mit den Zugvögeln nach Süden. Auf dem Weg dorthin,
fuhr ich natürlich auch hin und wieder durch Frankreich. Immer sehr zügig und
mit einem unguten Gefühl. Einmal sprach mich ein alter Mann in gebrochenem
Deutsch an. Er beschimpfte mich als Nazi und was ich ihm alles angetan
hatte. Bevor ich mich versah, antwortete ich in perfektem Französisch, dass er
mal lieber still sein solle, denn er war keinen Deut besser.
    Der Mann erschrak, sah mich überrascht an, drehte sich um
und verschwand eilig.
    Jahre später hatte ich in Marokko noch einmal solch ein
Erlebnis. Da gab es einen ganzen Tag, an dem ich perfekt Französisch sprach und
auch verstand. Das erfreute mich so sehr, dass ich sofort in die Medina
spazierte, mit allen möglichen Leuten Tee trank und mich blendend unterhielt.
Auf Französisch. Am anderen Tag war alles wieder weg.
    Im normalen Leben spreche ich, wie gesagt, kein einziges
Wort in dieser Sprache.
    Marokko war für mich ein einschneidendes Erlebnis. Dort
blieb ich einige Monate lang und hatte, vor allem als ich in der Wüste mit
einer Gruppe Beduinen unterwegs war, unglaubliche Bilder gesehen und
Erfahrungen machen dürfen. Es war, als würde sich die Dimension der Zeit öffnen
und ich konnte ganz einfach in alle Jahrhunderte der Vergangenheit und der
Zukunft hineinspazieren.
    Bis zum heutigen Tage habe ich keines dieser Bilder
vergessen und sehr viele haben sich irgendwann bestätigt. Außer natürlich die,
die noch ausstehen.
    Vorhin, kurz bevor ich das Refugio erreichte, humpelte vor
mir ein alter Mann in gebückter Haltung. Er trug seinen Rucksack selbst,

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