Schuhwechsel: Als Hausfrau auf dem Jakobsweg
wieder in Reih und Glied vor den Duschen.
„Ja, aber hallo“, mir bleibt echt die Spucke weg, „Wo kommt
ihr denn her? Seid ihr mit dem Taxi gefahren?
Schon fast entrüstet antworten sie: „Nein, natürlich sind
wir gewandert, wir pilgern hier.“
„Donnerlittchen, meinen Respekt“, sage ich und verneige mich
vor ihnen, erledige mein G’schäfterl und geh in die Bar.
Weil es heute warm ist, trage ich eine knalltürkisfarbene
Leggins und ein enges, ärmelloses Shirt in pink. Die langen, noch feuchten
Haare fallen in leichten Wellen hinab bis zu den Hüften. (sehr poetisch, gell?)
In diesem Aufzug latsche ich in die ansässige Provinzbar und bestelle mir ein
Bier.
Auf dem Jakobsweg muss ich weder schön sein, noch
irgendeinen Eindruck hinterlassen. Es ist mir wurschtegal, was andere von mir
denken oder wie ich bei denen ankomme. Hauptsache ich habe es bequem. Deshalb
habe ich natürlich nicht bedacht, dass die testosteronverseuchten, spanischen Señores
in der Midlife crisis bei meinem Anblick große Augen bekommen könnten.
Selbstverständlich ist die Bar voll von Männern, die
sonntags nichts anderes zu tun haben, als in der einzigen Kneipe im Ort zu
sitzen und Bier zu trinken. Natürlich geht ein Raunen durch den Raum, als ich
proppere Mittvierzigerin, mit voller Oberweite, in hautengen Knallfarben am
Tresen stehe und auf mein Bier warte. Natürlich werde ich blöd angepöbelt und
verstehe nur etwas von harten Kastanien, die sie jetzt wohl bekommen…?
Endlich ist mein Bier gezapft. Ich schnappe es und flüchte
nach draußen. Dort stehen zwei Tische am Straßenrand. Ich setze mich und
beginne mit meinen Notizen. Es dauert nicht lange dann kommt Heinz mit seinen
fünf Damen. Sie nehmen am Nebentisch Platz. Meine genervte Haltung ihnen
gegenüber ist in die totale Bewunderung übergegangen.
Da bilde ich mir ein, jung und knackig zu sein (haha),
stöhne über den Straßencamino und wie unerträglich dieser ist und dann kommt
kurz nach mir eine Gruppe von Senioren daher, die um einiges älter, aber
genauso schnell sind wie ich.
Muss dringend herausfinden, wie alt die sind. Während ich
schreibe, lausche ich mit einem Ohr deren Gespräche. Sie reden über eine junge
Frau, die ständig über irgendwelche Wehwehchen klagt und nie zum Sport kommt.
Dabei ist diese junge Frau erst 57. Mir fallen fast die Ohren ab. Die eine
walkt viel, die andere joggt regelmäßig und als sie mich ansprechen, kann ich
mich nicht halten.
Ich spreche ihnen meine ehrliche Bewunderung aus und frage
sie höflich nach deren Alter.
„Wir Frauen sind alle 74, nur der Heinz, der ist schon 75“,
erzählen sie nicht ohne Stolz. Also, wenn ich nicht schon sitzen würde…Echt!
Schon wieder schäme ich mich. Jetzt hatte ich solch ein übles Urteil gefällt
und mal wieder völlig zu Unrecht. Die Leutchen sind total nett! Und lustig! Und
fit! Mein Gott sind die fit! In dem Alter! Wahnsinn!!!
Sie erzählen mir nun in allen Einzelheiten und sehr
unterhaltsam von ihren sportlichen Aktivitäten, die ich mir nicht mehr merken
kann, denn mein Hirn versucht immer noch zu verarbeiten, was gerade darin
ankam. 74 und 75 Jahre!
Ein weiteres Bier bestelle ich nicht, denn in diese Bar
gehe ich nicht noch einmal.
Zurück im Refugio treffe ich wieder auf Hilde. Sie wirkt
sichtlich erleichtert.
„Hallo Hilde, was ist los mit dir? Du strahlst ja richtig.“
„Ach Rosa, ich bin dir ja so dankbar. Mit deiner
Unterstützung habe ich endlich verstanden, warum mein Schwiegersohn so
gehandelt hat und kann ihm verzeihen.“ Sie atmet tief und fährt fort, „das ist
so eine Erlösung und Erleichterung für mich, das kannst du dir gar nicht vorstellen.
Ich spüre richtig wie diese Last von mir abfällt.“
Wir umarmen uns.
„Das freut mich ehrlich, Hilde. Du siehst, man muss den
Camino nicht unbedingt gehen, er kann auch zu dir kommen.“
„Aber ich würde ihn doch so gerne gehen. Morgen fährt mich
der Herbergsvater zu einem anderen Arzt. Meinst du, das hilft mir?“
„Ich weiß es nicht, aber das ist auch völlig egal. Du weißt,
warum du hier warst und hast dein Problem gelöst. Ich wünsche dir von Herzen,
dass dir der Arzt morgen helfen kann und du bis Santiago gehen kannst.“
Wir befinden uns auf dem Jakobsweg. Hier geschehen auch
Wunder.
Das Abendessen findet gemeinsam statt. Alle Pilger sitzen
um einen großen Tisch herum, bekommen Wasser und mehrere, in unterschiedliche
Glasflaschen abgefüllter Rotwein. Mir gegenüber sitzen Heinz
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