Gassen der Nacht
Vollmond!
Wieder einmal, wie schon so oft. Aber diesmal war es anders, ganz anders. Diesmal würde es geschehen.
Das wußte Walt Temple genau. Er duckte sich noch tiefer in den schmalen Schatten der Einfahrt, von wo aus er sein eigenes Maus beobachten konnte.
Angst durchzog ihn wie ein Spinnennetz. Es lag an seinem Wissen und auch an der Nacht, die angefüllt war von einer sehr tiefen, grauen Dunkelheit und gleichzeitig einem seltsamen Zwielicht Es lag daran, daß ein heftiger Wind die Wolkendecke aufriß, als wäre er wütend, daß es sie gab, und so die Lücken schuf, durch die der volle Mond wie ein rundes Auge glotzen konnte.
Der Mond war sein Zeichen!
Nicht das des Walt Temple, sondern ein anderes. Es hatte nichts genutzt, gar nichts, überhaupt nichts, alles war vergebens gewesen. Seine große Vorsorge, das Sammeln der Banner, der Abwehrmittel. Er würde kommen, und zwar in dieser verdammten Nacht. Noch war er nicht da, hielt sich bewußt zurück. Und das konnte eine Chance für Walt Temple bedeuten. Er fürchtete sich zwar davor, schaute sich auch um, lauerte nach irgendwelchen Feinden, und doch gab es keine andere Möglichkeit.
Mit einem leisen, langen, huschenden Schritt löste er sich aus der Deckung der Einfahrt. Er brauchte nur die Straße zu überqueren, um die Haustür zu erreichen.
Wind erfaßte ihn. Temple spürte ihn wie ein trockenes Knistern auf seiner Kleidung. Der Wind schüttelte ihn durch, er wühlte in seinen Haaren und schaufette den Staub einer nahen Fabrik durch die Liegend, denn die Anlagen der Filter funktionierten nie so, wie es vorgeschrieben war. Irgendwas war immer kaputt. Doch wer kümmerte sich in diesem Viertel schon darum? Wo keine Lobby war, würde auch nichts geschehen. So war das nun einmal.
Der Wind war winterlich kalt. Bisher hatte es nur Regen gegeben, doch der Schnee ließ bestimmt nicht lange auf sich warten. Man hatte ihn bereits angekündigt. Es war eine besondere Nacht. Sie hatte sich in die Gassen des Viertels hineingestohlen wie ein Dieb. Die Dunkelheit hafte sie regelrecht in Besitz genommen,, sie würde sich so leicht nicht vertreiben lassen, und sie wehrte sich jedesmal zäh gegen den Anbruch des Tages, um anschließend doch zu verlieren.
Und sie hatte noch etwas mitgebracht.
Die Angst!
Temple spürte sie deutlich. Die Angst vor dem Mond, den Schatten, die Angst vor sich selbst. Das Unheimliche lauerte in den Gassen und klebte zäh wie Leim an den Hauswänden, an denen die Zeit ihre Spuren hinterlassen hatte.
Fensterscheiben blinkten matt. Hinter wenigen nur leuchtete Licht. Auch die Fenster, die zu Temples Wohnung gehörten, waren dunkel. Er wohnte unten. Geschäfts-und Wohnräume gingen ineinander über. Er war bekannt, weil er allen möglichen Trödel verkaufte. Das fing bei alten Sofas an und hörte bei Tüchern, Schalen und Töpfen noch lange nicht auf. Es waren nicht nur miese oder schlechte Dinge darunter. Dank seiner Beziehungen hatte er es geschafft, auch an Sachen heranzukommen, die außergewöhnlich waren. Seeleute brachten ihm Dinge aus fernen Ländern mit. Da gab es Souvenirs aus Afrika, Asien und Südamerika zu kaufen. Er verscherbelte alte Masken ebenso wie Glücksbringer und Fetische. Dafür hatte er sogar eine spezielle Abteilung eingerichtet.
Vor der Haustür blieb er stehen.
Geduckt, als läge auf seiner Schulter ein schwerer Alp. Er schaute gegen den Wind. Staub wirbelte heran, raschelte in den Gassen, in die das Mondlicht hineinschien und sie mit einem fahlen, aber unheimlichen Glanz ausfüllte.
Diese kleine Welt war unwirklich geworden. Die Nacht hatte sie mit einem Mantel des Bösen bedeckt. Temple glaubte daran, daß irgendwo geheimnisvolle Kräfte lauerten, die nur auf einen Fehler von ihm warteten.
Der aber war ihm schon unterlaufen, auch wenn er es nicht direkt zugeben wollte. Er hatte versucht, ihn auszumerzen, es war ihm nicht gelungen.
Das andere hatte sich fest etabliert und wartete nur darauf, zuschlagen zu können.
Seine Hand zitterte, als er den Schlüssel aus der Tasche holte und ihn in das Schloß schob. Das hatte er schon unzählige Male getan, in dieser Nacht jedoch war es etwas Besonderes.
Der Wind wuchtete in seinen Rücken. Temple duckte sich noch tiefer. Zusammen mit der Kraft des Windes schob er die Tür auf. Hastig stolperte er über die Schwelle. Er spürte die unsichtbaren Hände, die ihn vorpeitschten, er holte noch einmal tief Luft, dann drehte er sich und rammte die Tür hinter sich zu.
Draußen
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