Schuhwechsel: Als Hausfrau auf dem Jakobsweg
hatte
völlig ausgelatschte Halbschuhe an den Füßen und schlurfte mehr, als dass er
ging. Ich fragte ihn, ob ich ihm seinen Rucksack abnehmen, oder ihm sonst wie
helfen könne.
„Non non“, sagt er und schüttelt den Kopf. Ein Franzose,
denke ich enttäuscht und bin froh, dass er ablehnt.
Der Wille des Menschen ist sein Himmelreich. So wünsche ich
ihm einen guten Weg und hüpfe fröhlich weiter.
Kaum sitze ich nun vor dem Haus am Pilgerweg und will mit
meinen Notizen beginnen, setzt sich dieser alte Franzose zu mir und beginnt
eine Unterhaltung. Mein Versuch ihm zu erklären, dass ich kein Französisch
spreche, interessiert ihn nicht, er erzählt einfach.
Und ich verstehe jedes Wort, das er sagt.
Er ist seit Januar unterwegs und schon über 2000 km
gelaufen. „Ich bin alt,“ sagt er, „ich habe alles erlebt, was ein Mensch
erleben kann. Ich habe geliebt und gelitten, hatte Erfolg und habe versagt. Ich
habe gewonnen, verloren und wieder gewonnen und nun möchte ich gehen, bis mich
meine Füße nicht mehr tragen.“
Sofort finde ich nicht mehr, dass er ein blöder Franzose
ist, sondern bin fasziniert und gefangen. Da ich ihn nur verstehe, aber nicht
sprechen kann, nicke ich. Er fährt fort:
„Wenn ich in Santiago angekommen bin, gehe ich weiter nach
Finisterre und dann weiter nach Rom. Mein Zuhause habe ich aufgegeben, meinen
Besitz den Kindern vermacht, der Nachlass ist geregelt. Was ich brauche habe
ich und eigentlich braucht der Mensch doch nicht mehr, als gute Luft, Bewegung,
Wasser und Brot.“
Wenn man alles erlebt hat, kann man so sprechen, denke ich.
Aber, ob man ohne diese Erlebnisse zu diesem Schluss kommt, bleibt fraglich.
Eine Gruppe schwatzender Spanierinnen pilgert an uns
vorbei. Der Franzose regt sich auf: „Siehst du das? Die gehen diesen Weg, um zu
reden. Sie sehen nichts, sie hören nichts, sie fühlen nichts. Ein einziges
blabla und dieses über Kilometer hinweg. Was machen die hier? Die Weiber
könnten doch genau so gut zu Hause bleiben und dort schwatzen.“ Er findet das
‚terrible’.
Jeder wie er mag und kann, denke ich und bin wieder einmal
froh, dass ich alleine gehe. Denn eigentlich hat der Franzose ja Recht.
„Ich genieße jeden Meter dieses Weges, denn ich weiß, dass
dies mein letzter Weg ist. Ich weiß wohl nicht, wie lange dieser Weg noch geht,
aber mein letzter Weg soll auch einer der schönsten Wege sein. Wenn ich es noch
bis Santiago schaffe, möchte ich weiter nach Rom und wenn ich dann immer noch
lebe, weiter nach Jerusalem. Das ist die Richtung. Das Ende liegt irgendwo auf
diesem Weg. Aber jetzt bin ich müde und verabschiede mich ins Bett.“ Dann steht
er auf und schlurft langsam ins Refugio.
Ein sehr weiser Mann, denke ich und bin ehrlich beeindruckt
von der Art, wie er sein Lebensende geplant hat.
Nach und nach kommen die anderen Pilger an und setzen sich
in die Sonne vor das Haus. Meine Senioren sind angekommen, die Italiener und
noch ein paar andere aus dem letzten Refugio.
Pietro setzt sich neben mich und beginnt zu flirten. Als er
in die hauseigene Bar geht, um zwei Rotweine für uns zu holen, setzt sich
Guiseppe, ein anderer Italiener aus der Gruppe von Pietro, zu mir und erzählt
mir schnell, dass Pietro nicht aus Sardinien komme, sondern aus Ligurien.
Pietro habe sehr wohl eine Ehefrau und die wohl schon seit 25 Jahren. Er würde
jede Frau anbaggern und Lügen erzählen und das gehe ihm auf den Geist. Sie sind
hier, um zu pilgern und nicht, um Frauen aufzureißen.
Erst bin ich sprachlos, dann muss ich schallend lachen.
„Welch ein verrückter Weg!“
Pietro kommt mit den Gläsern auf mich zu und Guiseppe zieht
sich zurück. Er zwinkert mir zu und grinst verstohlen. Pietro und ich
unterhalten uns trotzdem blendend. Es bleibt oberflächlich, aber lustig. Schade
eigentlich, aber ohne die Wahrheit sind tiefe Gespräche nicht möglich.
Die Senioren schreiben ihre Tagesberichte auf. Die sind
schon sehr amüsant. Karin schreibt ihr Tagwerk in folgenden kurzen Sätzen auf:
„Heute O’Cebreiro. 22 km, schönes Dorf, schöne Aussicht.“ Als Inge sie etwas
fragt, entrüstet sie sich: „Stör’ mich nicht, ich arbeite.“
Karin war bestimmt mal eine Chefin, so klar und gradlinig
wie sie ist. Als die anderen Damen aufschreiben, dass sie am Morgen mit dem Ave
Maria geweckt wurden, schreckt Karin auf:
„Das habe ich jetzt glatt vergessen aufzuschreiben,“ kramt
ihr Notizbuch wieder aus ihrer Tasche und ergänzt ihren Aufschrieb.
Morgen wird sich
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