Schuhwechsel: Als Hausfrau auf dem Jakobsweg
Nachhinein bin ich echt
froh darüber. Das Leben geht manchmal seltsame Wege. Manchmal versteht man sie
erst viele Jahre später, manchmal nie. So ist das.
Ich liebe mein Zuhause und bekomme gerade einen wahnsinnigen
Sehnsuchtsanfall. Ich will heim.
Der Bus kommt und fährt mich zurück nach Santiago. Meine
letzte Nacht will ich im Albergue Aquario verbringen. Die Herberge gefällt mir.
Sie ist im esoterischen Althippiestil eingerichtet und zur Begrüßung bekommt
man gleich mal einen Schnaps.
Cool.
Mir wird ein Bett in einem Kabuff zugewiesen, in dem schon
drei andere Frauen liegen. Ich habe das Vergnügen, oben schlafen zu dürfen. Was
sich leider als kein Vergnügen entpuppen wird, wie ich später noch feststellen
werde.
Wie immer gehe ich zuerst einmal duschen. In dieser Dusche
gibt es sogar eine Waage. Ich stelle mich darauf und bin fassungslos. Nach
dieser Waage hätte ich 2 kg zugenommen! Wie kann das denn passieren? Alle
Pilger, die ich getroffen habe, haben Gewicht verloren, nur ich bin 280 km
gewandert und habe zugenommen.
Ich beschließe nicht zu glauben was ich sehe und mich zu
Hause zu wiegen. Frustriert setze ich mich an einen der Tische und öffne eine
Flasche Wein. Das Abendessen wird heute in flüssiger Form meinem Körper
zugeführt. Feste Nahrung fällt aus.
Harry setzt sich zu mir, ich biete ihm sofort an, mit mir
den Wein zu teilen. Sonst sehe ich wieder so versoffen aus, denke ich. Er
besorgt sich ein Glas, ich schenke ein und er beginnt zu erzählen. Dabei
stellen wir fest, dass wir am selben Tag, in derselben Herberge gestartet sind,
exakt dieselbe Strecke gelaufen sind und uns trotzdem nicht einmal begegnet
sind. Selbst in Samos war er. Am selben Tag! Ich habe ihn nicht gesehen und er
hat mich nicht gesehen.
Dieser Weg! Echt, selbst am letzten Tag überrascht er mich
wieder einmal. Harry ist Schamane, ich bin Astrologin – wir haben uns viel zu
erzählen.
Als die Flasche leer ist, macht er sich auf den Weg zur
Kirche und ich nicht. Mein Knie ist kaputt (gute Ausrede). Kaum ist Harry durch
die Tür hinaus, kommt Chantalle herein. Ich freue mich ehrlich. Ich mag sie
sehr, warum, weiß ich nicht. Ich verstehe sie ja nur in Bruchstücken. Wir
begrüßen uns wie alte Freundinnen und setzen uns nebeneinander. Das mag man
jetzt glauben oder nicht, aber ich könnte noch viel mehr unglaubliche
Geschichten erzählen, die noch weit unglaublicher sind, als das, was ich in
diesem Moment wieder einmal erleben darf.
In meinem ganzen diesen Leben hatte ich noch keine Stunde
Französischunterricht, ich war noch nie in Frankreich, außer zur schnellen
Durchreise und ich kann dieses Land nicht einmal besonders leiden. Aber ich
spreche und verstehe wieder einmal Französisch. Vermutlich liegt es am Wein
oder woran auch immer, aber ich kann mit Chantalle flüssig und sehr gut
verständlich kommunizieren.
Sie kommt gerade aus Finisterre zurück. Sie ist dorthin
gepilgert und mit einem Bus später als ich, zurück gefahren. Insgesamt ist sie
1700 km gelaufen.
„Hast du dich von deinem Begleiter trennen können?“, frage
ich sie direkt und als erstes.
„Ja, das habe ich. Irgendwann musste er telefonieren und
Dinge für zu Hause erledigen. Ich hatte keine Lust zu warten bis er damit
fertig ist und bin alleine weiter.“
„War das ein Problem für dich?“, frage ich weiter.
„Nein, überhaupt keines. Es ging total einfach. Das hätte
ich schon viel früher machen können. Warum sprichst du plötzlich französisch?“
„Ich weiß auch nicht. Manchmal kann ich es, meistens aber
nicht. Gelernt habe ich es nie.“
Sie schaut kurz verwundert drein, aber worüber soll man sich
nach 1700 km noch groß wundern? Ich frage sie, warum sie gleich so(!) weit
gelaufen ist.
„Am Anfang waren wir fünf Männer und ich. Einer nach dem
anderen kehrte um und fuhr zurück nach Hause. Ich bin die einzige, die hier ankam.“
Sie klingt nicht besonders erfreut, aber erzählt weiter:
„Ich war mein Leben lang Gynäkologin und bin seit Anfang des
Jahres im Ruhestand. Dann wusste ich nicht, was ich mit mir anfangen sollte und
bin einfach losgegangen.“
„Hast du eigene Kinder?“
„Nein, ich war so mit meinem Beruf verschmolzen, dass ich
keine Zeit für eine eigene Familie aufbringen konnte. Seit 13 Jahren lebe ich
mit einem Mann zusammen, der drei Kinder mitgebracht hat.“
„Bist du glücklich?“, frage ich weiter. Ich frage nicht ohne
Grund. Sie hat so einen leidenden Zug im Gesicht.
„Ich weiß es
Weitere Kostenlose Bücher