Schule der Armen
ich sehr viel.
Ich weiß genau, daß den strengen, den abstrakten Wissenschaften huldigenden Armen die unleugbare Aktualität, die das Buch durch die Behandlung eines so alltäglichen und zeitgemäßen Themas erhält, verdächtig erscheinen muß. Darum habe ich mich bemüht, meine Überlegungen unabhängig von modernen Strömungen der Zeit und unserer Epoche auf realen Grundlagen aufzubauen. Wie weit mir dies gelungen ist, überlasse ich dem Urteil meiner Kritiker.
Ich widme mein kleines Werk den Armen in der ganzen Welt.
Sándor Márai,
Budapest, 1943.
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A m zweckmäßigsten beschäftigt man sich mit der Armut vom philosophischen Standpunkt aus, schon wegen der einfachen Tatsache, daß in den meisten zivilisierten Staaten jeder, der sich mit der Armut in einer ganz gewöhnlichen Tonart und rein praktisch auseinanderzusetzen versucht, früher oder später hinter Schloß und Riegel endet.
Als erstes wollen wir also feststellen, daß die Armut, vom rein philosophischen Standpunkt aus betrachtet, der normale menschliche Zustand ist. In der Tat, nur die Einfältigen und die berufsmäßig böswilligen Schwätzer können behaupten, daß neuartige wirtschaftliche Theorien oder gar ein hingeworfenes politisches Schlagwort von einem Tag auf den anderen die großen Massen aus dem Zustand der Armut herausheben könnten.
Nur sanfte Träumer oder zu allem entschlossene Fanatiker können dummerweise behaupten, daß die die Erde bevölkernde, im großen und ganzen gutmütige, im Tragen ihrer Leiden ungemein geduldige und in ihrer Gesamtheit talentlose menschliche Rasse sofort glücklich wird und nicht länger arm ist, sobald eine Lehre oder ein Schlagwort, zum Beispiel die Chorgesänge der Heilsarmee oder die Dogmen von Marx, sich mit dem nötigen Nachdruck über die ganze Welt verbreiten. Dies können nur Soziologen oder Menschen glauben, die man für ihre Stellungnahme eigens bezahlt. Ein vernünftiger Mensch dagegen, und vor allem jene, in denen noch der sittliche Mut lebt (was bedeutet, daß sie weder von extrem links noch von extrem rechts Geld annehmen), vermögen Theorien, die mit der Wahrheit so wenig zu tun haben wie Pontius Pilatus mit dem Kredo, nur mit Schamröte im Gesicht anzuhören.
Nach welchem Schlüssel die Menschen unter sich die Produkte und die Bodenschätze der Welt aufteilen, durch welche friedlichen oder gewaltsamen Mittel sie den Verteilungskoeffizienten einer ihre eigenen Interessen begünstigenden Korrektur unterwerfen wollen, mit diesem zweifelsohne sehr aktuellen Problem hat jedoch die Armut – als natürlicher Zustand des Menschen – überhaupt nichts zu tun. Die Menschen haben sich an die Armut gewöhnt und betrachten sie als Selbstverständlichkeit. Prominente Persönlichkeiten erklären ihnen von Zeit zu Zeit, warum sie eigentlich arm sind, und die Menschen hören sich dies meist sogar gläubig an, das ist aber auch alles.
Vom philosophischen Standpunkt aus betrachtet ist es aber vollkommen gleichgültig, ob die Menschen in hoffender Erwartung eines neuen Wirtschaftssystems die Leiden der Armut ertragen, damit eine Bank oder ein industrielles Unternehmen eine höhere Dividende ausschüttet, aus religiöser Überlegung oder aber im Dienst eines romantischen und nebulösen Schlagwortes: zum Beispiel die Freiheit, die Kolonisierungspolitik oder gar ein Streichholztrust. Wie immer wir auch diese Schlagwörter variieren, die Wahrheit läßt sich schwer verheimlichen, daß nämlich die Menschen arm sind, daß nur eine ganze kleine Fraktion der Milliarden von Erdenbewohnern reich ist. Und wenn auch der Staat zeitweise von den Reichen die Rolle des Kapitalisten übernimmt, bleibt doch die Armut der großen Massen in China, in Lappland oder auch in Nischnij Nowgorod gleich.
Die Begründung, warum und zu welchem Zwecke die Menschen hier oder dort arm sind – so bestechend diese Argumentation auch klingen mag –, kann nichts an der Dauerhaftigkeit der geheimnisvollen Institution der Armut ändern. Es gibt selbst in Jahrmarktsbuden kein dankbareres Publikum als das einer Volksversammlung, auf der Redner erklären, warum die Menschen bis jetzt an Armut litten, und sodann bei Vorgaukelung eines fernen Zieles die Anwesenden auffordern, durch begeistertes Akzeptieren neuer Opfer und Entbehrungen dieses Ziel zu verwirklichen. Nun tobt die Zuhörerschaft vor Begeisterung, denn es wird ihr ein Vorwand geboten, auch weiterhin unverändert, vielleicht noch in gesteigertem Maße, arm zu bleiben. Dieser
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