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Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Titel: Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Eins
    Sie träumte von Sanctuary. Im Mondlicht erstrahlte das große Haus leuchtend weiß. Majestätisch auf einer Anhöhe gelegen, herrschte es wie eine Königin auf ihrem Thron über die Dünen im Osten und das Marschland im Westen. Das Haus, ein prachtvolles Denkmal menschlichen Hochmuts und Glanzes, ragte schon mehr als ein Jahrhundert nahe den Schatten des Waldes immergrüner Eichen auf, wo der Fluß in düsterem Schweigen dahinglitt.
    Im Schutz der Bäume blinkten goldene Feuerfliegen, und die Tiere der Nacht erwachten zum Leben, bereit, zu jagen oder gejagt zu werden. Im Schatten, im Verborgenen, lauerte die Gefahr.
    Kein Lichtstrahl erhellte die schmalen, hohen Fenster von Sanctuary. Kein Lichtstrahl fiel über die eleganten Veranden, die weiten Türen. Es herrschte tiefe Nacht, und vom Meer drang ihr feuchter Atem hoch. Die einzigen Geräusche, die die Dunkelheit zerrissen, waren der Wind im raschelnden Laub der hohen Eichen und das trockene Knacken der Palmwedel, die wie knochige Finger aneinanderschlugen. Die weißen Säulen bewachten die breite Veranda wie Soldaten, aber niemand öffnete ihr zur Begrüßung die mächtige Tür.
    Bei jedem Schritt knirschten Sand und Muscheln unter ihren Füßen. Sie näherte sich dem Haus. Glockengeläut erklang im Wind, kurze Tonfolgen eines Liedes. Die Hollywood-Schaukel quietschte in ihren Ketten, aber niemand räkelte sich in ihr, um die Nacht und den Anblick des Mondes zu genießen.
    In der Luft lag der Duft von Jasmin und Moschusrosen, noch verstärkt durch den Salzgeruch des Meeres. Allmählich hörte sie jetzt auch dies, das leise und stete Heranrollen des Wassers, das sich über Sand ergoß und sich dann wieder in sein eigenes Herz zurückzog.
    Der Rhythmus, der beständige und geduldige Schlag, erinnerte alle Bewohner der Insel Lost Desire daran, daß das Meer
jederzeit das Land samt allem, was sich darauf befand, zurückfordern konnte.
    Und dennoch verspürte sie bei diesem Geräusch Freude; es war der Klang ihres Zuhauses und ihrer Kindheit. Damals war sie so frei und ungebunden wie ein Reh durch den Wald gelaufen, hatte die Sümpfe erkundet, war in jugendlicher Unbekümmertheit über die weißen Strände gerannt.
    Jetzt war sie kein Kind mehr – und wieder zu Hause.
    Mit schnellen Schritten nahm sie die Stufen, eilte über die Veranda und umschloß mit ihrer Hand den dicken Messingknauf, der wie ein verlorener Schatz glänzte.
    Die Tür war verschlossen.
    Sie drehte den Knauf nach rechts und nach links, stemmte sich gegen die schwere Mahagonifüllung. Laß mich rein , dachte sie, und das Herz begann in ihrer Brust zu hämmern. Ich bin zurück nach Hause gekommen. Ich bin wieder da.
    Aber die Tür blieb verschlossen. Sie drückte ihr Gesicht gegen die hohen Glasscheiben daneben, aber drinnen herrschte undurchdringliche Dunkelheit.
    Angst überkam sie.
    Jetzt rannte sie – um das Haus herum, über die Terrasse, wo Blumen aus den Töpfen quollen und die Lilien eine farbenprächtige Revue aufführten. Die Musik des Glockenspiels verwandelte sich in einen harschen Mißklang, das Rauschen der Palmwedel in warnendes Zischen. Sie nahm den Kampf mit der nächsten Tür auf; weinend hämmerte sie mit den Fäusten auf sie ein.
    Bitte, bitte, laß mich rein. Ich möchte zurück, zurück nach Hause.
    Schluchzend stolperte sie den Gartenweg entlang. Sie wollte auf die Rückseite des Hauses, zur gazebespannten Schwingtür der hinteren Veranda. Sie war nie verschlossen – Mama war der Ansicht, daß eine Küche Besuchern immer offenstehen solle.
    Aber sie konnte die Tür nicht finden. Dicht an dicht erhoben sich vor ihr die mächtigen Bäume; Zweige und herabhängende Flechten versperrten ihr den Weg.
    Sie hatte sich verirrt. In ihrer Verwirrung stolperte sie über Wurzeln. Die Bäume bildeten mit ihren Ästen einen Baldachin,
den der Mond nicht durchdringen konnte, und verzweifelt versuchte sie, in der Finsternis etwas zu erkennen. Der Wind frischte auf, heulte und versetzte ihr strafende Schläge mit flacher Hand. Die Palmwedel hieben wie Schwerter auf sie ein. Sie drehte sich um, doch da, wo zuvor der Weg gewesen war, verlief nun der Fluß und trennte sie von Sanctuary. Das hohe Gras am schlüpfrigen Ufer wogte wild hin und her.
    In diesem Moment sah sie sich selbst, weinend und allein am anderen Ufer.
    Und in diesem Moment wußte sie, daß sie tot war.
     
    Jo kämpfte sich den Weg aus dem Traum. Als sie am Ende des Tunnels auftauchte, spürte sie beinahe noch seine

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