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Schule für höhere Töchter

Schule für höhere Töchter

Titel: Schule für höhere Töchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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geheiratet hat und deren Mutter zugleich auch die Großmutter ist. Ist das wirklich große Kunst?«
    Er klang so aufrichtig empört, daß Kate nicht wußte, wie sie darauf reagieren sollte. Es war ein Gespräch, das man recht amüsant hätte wiedergeben können – die todernste Nacherzählung berühmter hochdramatischer Theaterstücke ist bekanntermaßen urkomisch. Dennoch fehlte hier das witzige Element. Mr. Jablon hielt Ödipus nicht nur für einen alten Lüstling, nein, er war auch unglücklich darüber.
    »Das war Vorherbestimmung«, sagte Kate. »Schicksal. Die Griechen sind der Meinung, daß der Mensch seinem Schicksal nicht entrinnen kann.«
    »Aber genau das scheinen all diese jungen Leute mit ihren schmutzigen Kleidern und ihrer Aufsässigkeit zu wollen; sie versuchen, ihrem Schicksal zu entrinnen, das da heißt: arbeiten, ihre Eltern und das Vaterland respektieren und etwas lernen.«
    Kate seufzte. »Ich weiß, was Sie meinen«, sagte sie. »Wenn sie, wie die Hippies, nur für den Augenblick leben, was werden sie tun, wenn sie vierzig sind?«
    »Ja«, sagte er. »Ja. Sie sollten sich vorbereiten.«
    »Aber das ist Ihre Vorstellung von Schicksal, nicht die der jungen Leute. Ödipus glaubte, seinem Schicksal entgehen zu können…«
    »Und sie glauben, vor dem ihren davonlaufen zu können.«
    »Nein. Sie glauben, die Jungen liefen vor dem davon, was Sie für ihr Schicksal halten. Aber es gibt keine Orakel mehr, die uns sagen, was uns bestimmt ist oder was den Göttern gefällt. Es gibt keinen Tiresias mehr. Wissen Sie, das Stück, das Angelica studiert, ist in diesem Jahrhundert neu geschrieben worden, in vielen Punkten ähnlich, aber ohne einen Tiresias. Es gibt heute niemanden, der uns sagen kann, was die Wahrheit ist.«
    »Es ist schwer, alt zu sein«, sagte der Mann. »Mein Enkel, der Junge, der hier gefunden wurde… früher hat er manchmal mit mir geredet, und er hat mir eine Zeile von Dante zitiert, einem anderen großen Schriftsteller, den ich nie gelesen habe: ›Ich starb nicht, und dennoch blieb mir nichts vom Leben.‹ Das trifft es genau.«
    »Mir scheint, es bleibt sehr viel«, warf Kate ein. »Ihre Enkelkinder, Ihre Gesundheit. Sie haben genug Geld. Diese Dinge scheinen nur dann unzureichend, wenn man sie besitzt, meinen Sie nicht auch?«
    »Wofür ist Geld heutzutage gut? Dafür, daß meine Enkelin zur Schule geht und lernt, die Autorität zu verhöhnen? Dafür, daß mein Enkel den Dienst in der Armee seines Landes verweigert? Dafür, daß sie sich gegen ihre eigene Regierung verschwören? Aber auch in kleinen Dingen: Ich kann abends nicht mehr Spazierengehen, wie ich will; ich werde überfallen. Auch tagsüber kann ich nicht Spazierengehen, ohne daß mir von den Abfällen auf den Straßen übel wird. Die Luft ist nicht zum Atmen. Ich besitze einen Wagen, einen teuren Wagen, aber auf den Straßen gibt es keine Parkplätze, was nützt er mir also? Ich kann mit ihm nirgendwohin fahren. Wenn die Menschen noch nach den alten Prinzipien lebten…«
    »Kennen Sie die?«
    »Jeder kennt die. Die Jugend behauptet nur, sie nicht zu kennen. Sie…«
    Wieder unterbrach sich der alte Mann. Er wurde langsam ärgerlich. »Es kann einfach nicht richtig sein, das Vaterland zu verraten.«
    »Ist das Wort ›verraten‹ nicht übertrieben? ›Verrät‹ man eine Demokratie, wenn man mit der gewählten Regierung nicht einer Meinung ist?«
    »Angelica hat mir erzählt, daß es einige Mädchen hier gibt, die den Krieg unterstützen wollten und niedergeschrien wurden. Darauf war sie sogar stolz.«
    »Das ist verkehrt, keine Frage. Das ist, und hier bin ich Ihrer Meinung, Verrat. Aber mit einer Politik nicht einverstanden zu sein ist kein Verrat. Wissen Sie, wen Dante in den untersten Kreis seiner Hölle verbannt hat?« Das war keine rhetorische Frage, und Kate wartete auf eine Antwort. Der alte Mann schüttelte den Kopf.
    »Die, die statt ihres Landes ihre Freunde verraten haben.« Der alte Mann zuckte mit den Schultern, als wollte er sagen, daß ihn das nicht überraschte. Die Erziehung, die er sich für seine Kinder gewünscht hatte, erwies sich als Illusion. Weder die Moderne noch die Antike hielt sich an die ewigen Werte.
    Kate blickte hoch und sah, daß sich die Augen des alten Mannes mit Tränen gefüllt hatten – den hilflosen Tränen des Alters. Er schwieg, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte; er sah sie nicht an.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, fuhr Kate nach einer Weile fort. »Ich halte

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