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Schule für höhere Töchter

Schule für höhere Töchter

Titel: Schule für höhere Töchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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fähig sind.
    Es folgten heftige Diskussionen, und Kate wartete darauf, daß Angelicas Bruder zur Sprache käme oder wenigstens die Frage des zivilen Ungehorsams im Zusammenhang mit dem Krieg in Vietnam; doch das Seminar ging zu Ende, ohne diesen empfindlichen Punkt zu berühren. Kate kam zu dem Schluß, daß sich die Mädchen der aktuellen Bedeutung der ›Antigone‹ durchaus bewußt waren und aus Mitgefühl für Angelica diesen Punkt nicht angesprochen hatten.
    Kate saß noch im Seminarraum und überlegte, ob sie Angelica suchen sollte, als ein kleines Mädchen an die Tür klopfte und ihr mit dem Knicks der Theban-Schülerin eine Nachricht übergab. Kate dankte dem Kind; die Nachricht kam von Miss Freund, die Kate bat, so schnell wie möglich in ihr Büro zu kommen. Bestimmt, dachte Kate, haben die Hunde wieder jemanden aufgestöbert.
    Aber es waren nicht die Hunde. Es war Miss Strikeland. Der alte Mann war ihr wieder in der Eingangshalle aufgefallen, und gemäß Anordnung hatte sie Miss Freund benachrichtigt. Die begrüßte Kate nun in ihrem Büro und stellte ihr den alten Herrn vor, den Kate schon früher beobachtet hatte. Er hatte nicht nur den Hut abgenommen, sondern heute, wahrscheinlich auf Miss Freunds Einladung, auch den Mantel ausgezogen. Er war konservativ und teuer gekleidet; er strahlte eine unendliche Traurigkeit aus. Ein Mensch, dem weniger zuzutrauen wäre, daß er junge Mädchen belästigte, war kaum vorstellbar.
    »Miss Fansler«, sagte Miss Freund, »dieser Herr ist Angelica Jablons Großvater. Er macht sich Gedanken um die Schule, obwohl wir ihn, wie ich ihm gesagt habe, mit Vergnügen herumgeführt hätten…«
    »Sie haben doch alle zu tun«, sagte der Mann.
    »Zu unserer Arbeit gehört es auch, Eltern und Großeltern in unserer Schule zu begrüßen. Wie dem auch sei, als ich Mr. Jablon heute in mein Büro bat, fragte er schließlich, ob er Sie sprechen könnte, Miss Fansler.« Ihr etwas skeptischer Tonfall machte ihre Meinung zu Mr. Jablons Verhalten nur zu deutlich. Ihm war es gelungen, die üblichen Wege zu umgehen. Kate war geneigt, ihr zuzustimmen. Ihre erste Reaktion war, so gab sie später Reed gegenüber zu, egoistisch und unverzeihlich: Als jemand, der nicht gerade großzügig für die Leitung eines Seminars bezahlt wurde, schien sie höchst ungewöhnliche Gespräche im Namen des Theban führen zu müssen. Dann fragte sie sich, ob sie es hier nicht wieder mit dem selbstgerechten Patriotismus und Konservativismus ihrer Brüder zu tun bekam, der die ›Times‹ für radikal hielt, und so weiter und so fort. Mit den eigenen Brüdern war es schon schwierig genug, mußte man wirklich das alles mit alten Männern durcharbeiten, die schließlich das Recht auf ihre eigene Meinung hatten – wenn sie die nur für sich behielten.
    »Selbstverständlich«, sagte sie, »aber wo…?«
    »Ich gehe ohnehin jetzt zum Lunch«, sagte Miss Freund. »Sie können mein Büro benutzen. Sollte jemand nach mir fragen, sagen Sie, ich käme später wieder.«
    Kate nahm mit einem unbehaglichen Gefühl auf Miss Freunds Stuhl Platz und hoffte, das würde ihr eine gewisse Autorität verleihen. Sie kam sich schrecklich dumm vor.
    »Ich sollte Ihnen nicht die Zeit stehlen«, sagte Mr. Jablon, »aber sehen Sie, ich versuche so sehr zu begreifen. Mir kommt es vor, als sei die Jugend in diesem Land verrückt geworden, sie hat…« Mr. Jablon wurde lauter, doch fing er sich wieder und machte dabei den Eindruck eines Menschen, der sich mit Mühe daran erinnert, daß er gekommen ist, um Fragen zu stellen, nicht um Urteile abzugeben. Kate dachte an den Satz von Marianne Moore: »Die Leidenschaft, andere Menschen belehren zu wollen, ist schon für sich genommen ein quälendes Leiden.«
    »Wollten Sie etwas Bestimmtes von mir wissen«, holte Kate ihn zurück. Schließlich konnte Mr. Jablon die Probleme der heutigen Jugend ja mit jedem am Theban erörtern, vorzugsweise mit jemandem mit festem Gehalt.
    »Es geht um das Stück, das Sie besprechen; Angelica hat mir davon erzählt. Sie sagte, daß es dieselben Probleme schon bei den alten Griechen gegeben hat. Ich hatte nie die Zeit, etwas über die Griechen zu lernen, aber ich wollte immer, daß meine Kinder das tun und auch meine Enkel, wenn sie Lust dazu hätten. Sie schienen so wichtig, die Griechen. Und nun stelle ich fest, daß Ihr Stück eine Entschuldigung für Vaterlandsverrat ist und daß die Heldin ein Mädchen ist, dessen Vater seinen Vater ermordet und seine Mutter

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