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Schule für höhere Töchter

Schule für höhere Töchter

Titel: Schule für höhere Töchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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die ›Antigone‹ für ein großartiges Stück. Wir sind nicht einer Meinung, was die ewigen Werte angeht. Ich bin nicht sicher, ob ich an ewige Werte glaube, abgesehen von der Tatsache, daß der Mensch nur unter großen Opfern lernt und daß es keine einfachen Antworten gibt.«
    »Das ist eine bemerkenswerte Schule«, sagte der alte Mann. »Ich habe ein paar Tage in der Eingangshalle zugebracht und nur beobachtet. Ja, es ist alles sehr unauffällig, aber gut geführt, gut organisiert. Es ist eben eine alte Schule.«
    »Ja«, sagte Kate. »Für eine amerikanische Schule ist sie recht alt.«
    »Es ist immer eine Schule für die besten Kreise gewesen«, sagte er. »Ich weiß das. Und nun ist meine Enkelin hier. Das ist Amerika.«
    »Ja«, sagte Kate.
    »Ich bin Jude«, sagte der alte Mann. »Wissen Sie, wie ich in dieses Land gekommen bin?«
    »Ich weiß nur ganz allgemein etwas über diese Dinge«, sagte Kate. Aber, dachte sie, er und meine Brüder verteidigen mit gleicher Heftigkeit das, was sie Amerika nennen. Dabei finden meine Brüder zweifellos, Amerika habe einen Fehler gemacht, indem es die Juden hereinließ. Patriotismus schafft seltsame Allianzen.
    »Mein älterer Bruder, er war fünfzehn damals, kam hierher und verdiente das Geld für unsere Überfahrt. Für meinen Vater, meine Schwester und mich; meine Mutter war tot. Wir brachten unsere Lebensmittel mit aufs Schiff, aufs Zwischendeck, und kochten auf Feuerstellen, die wir uns gebaut hatten. Ich war sechs, als wir herkamen. Mein Bruder hatte in Neuengland Fuß gefaßt, er arbeitete in der Fabrik. Ich ging zur Schule und konnte kein Wort Englisch. Die Kinder brachten ihr Mittagessen mit – damals war es meist Suppe-, und ich erinnere mich an einen Jungen, der ein Stück Fleisch in seiner Suppe hatte. Er machte ein Gesicht, als wollte er es fortwerfen, ach, Suppenfleisch, und ich war so hungrig auf dieses Stück Fleisch, daß es wehtat. Aber ich war zu stolz, ihn darum zu bitten. Er warf es weg, in den Schmutz. Ich sehe es noch immer da liegen.
    Aber darum geht es jetzt nicht«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Es geht um dieses Land. Mit vierzehn ging ich arbeiten; ich wirkte erwachsen. Abends ging ich aufs College; ich studierte Jura. Ich habe Erfolg gehabt, und das verdanke ich Amerika. Muß ich diesem meinem Land nicht Dankbarkeit und Loyalität entgegenbringen? Meine Enkelkinder spucken auf Amerika. Was hat Ihre Antigone damit zu tun? Hat ihr Land ihr solche Chancen geboten?«
    »Wie viele Kinder haben Sie?« fragte Kate.
    »Zwei. Mein Sohn fiel in Korea. Er war stolz darauf, in diesen Krieg zu ziehen. Meine Tochter lebt in Kalifornien. Ich bin siebzig. Meine Schwiegertochter ist – eine unglückliche Frau. Und nun bespuckt mein Enkel, vierundsechzig Jahre nachdem ich in dieses wunderbare Land gekommen bin, die Fahne, und meine Enkelin versteckt ihn vor dem Gesetz. Und Sie ermutigen sie noch?«
    Kate fiel darauf keine Antwort ein. Sollte sie sagen, daß Haemon, Kreons Sohn, genau so mit seinem Vater gestritten und Sophokles das alles verstanden hatte, daß all das nicht neu war und nicht das Ende der Welt bedeutete? Würde er das verstehen? Kreon hatte eine Menge Probleme, aber übertriebene Dankbarkeit Theben gegenüber gehörte nicht dazu.
    »Ich bin immer aufrichtig gewesen«, sagte der alte Mann. »Ich habe nie mein Geld für schlechte Zwecke verwendet.«
    Das sagten ihre Brüder auch gerne. Wahrscheinlich stimmte es ja auch, aus ihrer Sicht. Aber wie steht es mit der Zeile aus den Sprüchen Salomons: »Wer aber eilt, reich zu werden, wird nicht ohne Schuld bleiben?« (Sprüche 28, 20) Immerhin, Mr. Jablon hatte sich tatsächlich beeilt, reich zu werden; er hatte kein Geld geerbt, für dessen Erwerb ein anderer gesündigt hatte, wie es für Angelica zutraf und für sie selbst, Kate Fansler.
    »Ich sollte Ihre Zeit nicht mehr in Anspruch nehmen«, sagte er.
    Kate schüttelte den Kopf. »Sie erweisen der Literatur die Ehre, sie ernst zu nehmen«, sagte sie, »aber ich weiß nicht, wie ich Ihnen antworten soll. Ich möchte Ihnen die Ehre erweisen, ehrlich zu sein. In dem Stück macht Kreon die Erfahrung, daß er sich der Richtigkeit seiner Gesetze allzu sicher gewesen ist, daß er Gesetz und Ordnung überbewertet hat. Natürlich begreift er das zu spät, um das Leben seines Sohnes retten zu können oder das seiner Frau oder Antigones, die alle wegen seines Starrsinns sterben mußten.«
    »Weil das Leben grausam ist; bedeutet das, daß er im

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