Schwaben-Gier
»vielleicht kann ich darauf verzichten.«
3. Kapitel
Katrin Neundorf hatte sich sofort bereit erklärt, Braig nach Oettingen zu begleiten. »Es handelt sich um den Ehemann?«
»Der angeblich nicht weiß, wo sich seine Frau heute Nacht aufgehalten hat.«
Neundorfs Zusage ließ Braig erleichtert aufatmen. Die Todesnachricht in Begleitung seiner Kollegin zu überbringen, erforderte weit weniger Überwindung, als sich allein auf den Weg machen zu müssen. Dem nächsten Angehörigen der Toten zu zweit gegenüberzutreten, nahm dem Gefühl, dem Elend der betroffenen Person vollkommen ausgeliefert zu sein, die Schärfe. Hinzu kam, dass vier Augen natürlich besser geeignet waren, den Mann auf seine Reaktion hin zu überprüfen.
Der Klaus-Röder-Weg lag am nördlichen Rand Oettingens, dort wo die von gepflegten Gärten umgebenen Einfamilienhäuser in wellige Obstbaumwiesen übergingen. Neundorf überprüfte die Hausnummer, sah das Gebäude von Weitem. Mariannes Beste prangte in dicken roten Lettern an der weiß verputzten Wand eines zweistöckigen Hauses mit einem langen, niedrigen Anbau. Ein weit geöffnetes Tor ermöglichte den Zutritt zum Hof, der in einen großen gepflegten Garten auslief.
Sie stellten das Fahrzeug ab, wandten sich dem Fabrikgelände zu. Kindlers Nndelträume versprach ein großes Plakat unmittelbar neben dem Eingang. Nudeln in allen Variationen waren leicht vergilbt und von abblätternden Farbstreifen beeinträchtigt darauf zu erkennen.
Braig und Neundorf betraten den Hof, hörten den Lärm mehrerer Maschinen aus dem Anbau. Der Nebel hatte sich gelichtet, zarte Sonnenstrahlen tauchten die Umgebung in ein weiches Licht. Braig betrachtete den Hof und das Gebäude, ließ seine Augen über den weitläufigen Garten schweifen. Blühende Büsche und Hecken erstreckten sich ins Uferlose, irgendwo im milchigen Dämmer in Obstwiesen übergehend. Unmittelbar dahinter erkannte er die Konturen der himmelan strebenden Höhen des Schwäbischen Waldes.
»Märchenhafte Landschaft«, sagte Neundorf, den Blick in die Ferne gerichtet, »leider haben wir keine Zeit, sie zu genießen.«
Sie wandten sich zur Tür, deren weißer Lack in breiten Streifen abblätterte, studierten das kleine Schild, das neben dem Klingelbord angebracht war. Kindlers Nudelträume Werksverkauf Montag bis Samstag 10 bis 18 Uhr.
Braig drückte auf die Klinke, öffnete die Tür. Das schrille Läuten einer Glocke signalisierte ihren Besuch. Sie betraten einen langen, schmalen Raum mit einer breiten Theke. Nudeln in unzähligen Formen, in großen und kleinen Packungen lagen hoch aufgeschichtet nebeneinander. Braig betrachtete das vielfältige Angebot, sah, dass es von gewöhnlichen Bandnudeln über sorgsam geformte Tierfiguren bis hin zu grün, rot und braun ausgeführten Fantasiegebilden reichte. Wir verwenden ausschließlich naturreinen Hartweizengrieß, frische Eier und Kräuter aus der Region verkündete ein schief nach oben strebendes, mit dickem schwarzen Filzstift geschriebenes Plakat an der Wand.
Neundorf nahm eine der mit verschieden farbigen Nudeln gefüllten Packungen in die Hand, studierte die Formen der kleinen Kunstwerke: Bälle, Sterne, Kreuze waren zu erkennen. Als sie das Paket wieder zurücklegte, betrat ein stämmiger, mit einem weißen Kittel bekleideter Mann den Raum.
»Grüß Gott so früh am Morge«, erklärte er, lief hinter die Theke, schaute sie erwartungsvoll an. »Was darf’s sein?«
Braig hatte ihn an der Stimme erkannt, zog seinen Ausweis aus der Tasche, stellte sich und seine Kollegin vor. »Herr Kindler persönlich?«, vergewisserte er sich.
Der Mann nickte, wischte seine Hände an seinem Kittel ab, reichte sie ihnen. »Isch was mit meim Weib?«, fragte er im breitesten Schwäbisch, Besorgnis in der Stimme.
Braig musterte sein Gesicht, die breiten, fast feist wirkenden fleischigen Wangen, die etwas schief gewachsene lange Nase, dazu die buschigen, tiefbraunen Augenbrauen, bemerkte den unstet zwischen ihnen hin und her huschenden Blick Kindlers.
»Jetzt rücket se doch endlich raus mit der Sproch!«, forderte der Mann.
»Sie hat sich heute noch nicht bei Ihnen gemeldet?«, fragte Neundorf.
Kindler antwortete sofort, ohne jedes Zögern. »Noi, i hans Ihne doch am Telefon scho erklärt!«
»Ist das nicht außergewöhnlich?«
Er begriff den Sinn ihrer Frage nicht. »Was?«
»Dass sie über Nacht weg bleibt und Sie nicht wissen, wo sie sich aufhält.«
Braig sah, wie er seinen massigen Körper unruhig
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