Schwaben-Gier
hinter der Theke hin- und herschob, dann aufgeregt zu einer Antwort ansetzte. »Hano, was soll i jetzt sage? Sie kennet mei Weib net. Die könnet se net grad so feschtbinde.«
»Also kam das schon öfter mal vor?«, versuchte Neundorf seine Worte zu interpretieren.
Er wusste nicht, wie er reagieren sollte, streckte beide Hände in die Höhe. »Öfter? I woiß net. Ab und zu halt, ja.«
»Immer beruflich?« Sie hatten sich unterwegs ausführlich über Braigs Telefonat mit dem Nudelfabrikanten unterhalten, verschiedene Deutungen seiner Aussagen überlegt.
»Ja nadierlich, was denket denn Sie?«, beharrte Kindler. »Wenn d’ Marianne net so viel unterwegs wär, hättet mir scho längscht dichtmache müsse. Oder glaubet Sie, des ganze Zeugs verkauft sich vo selbscht?« Er deutete mit weit ausladenden Bewegungen auf die Berge von Nudeln, die vor ihm auf der Theke ruhten. »Des Gschäft isch net so oifach, wie Sie moinet. Die paar Dackel, die freiwillig den Weg zu os findet, machet die Sau net fett!«
Neundorf verstand die beruflichen Schwierigkeiten, die der Mann andeutete, nickte zustimmend. »Dann ist Ihre Frau für den Verkauf zuständig«, folgerte sie.
»Und ob. Sonscht hättet mir den ganze Krempel längscht naschmeiße könne!« Kindler wuchtete seinen Oberkörper nach vorne, beugte sich halb über die Theke. »Isch ihre was passiert?«
Braig sah die Falten auf seiner Stirn, beobachtete die weit aufgerissenen Augen. Besorgnis und Nervosität waren darin zu erkennen.
»Hat Ihre Frau die Angewohnheit, ihre Kleidung mit ihrem Namen zu beschriften?«, fragte Neundorf. »Ich meine, näht sie kleine …«
»I woiß, was Sie moinet«, fiel ihr Kindler ins Wort, »nadierlich, des isch halt so a Marotte vo ihr, ja. Jeder Mensch hat seine Macke ond so lang es nix Schlimmes isch, ka ma doch nix dagege sage, oder? Seit sie vor a paar Jahr im Krankehaus in Ludwigsburg war ond ihr dort en Teil ihrer Wasch abhande komme isch, hat sie sich des agwöhnt, was wiilsch dagege mache?« Er verstummte, schaute die Kommissarin fragend an: »Warum wellet Sie des wisse?«
Neundorf warf Braig einen besorgten Blick zu, fuhr sich durch die Haare. »Herr Kindler, wir würden gerne ein paar Fotos von Ihrer Frau sehen. Ist das möglich?«
Der Mann wurde immer unruhiger, konnte sich nicht mehr länger zurückhalten. Er stampfte mit schweren Schritten um die Theke, baute sich unmittelbar vor ihnen auf. »Aber jetzt rücket se doch endlich damit raus, was Sie wellet! Was isch mit dene Bilder, warum soll i Ihne die zeige?«
Braig spürte, dass sie ihr Gegenüber nicht länger auf die Folter spannen durften. Er glaubte nicht, dass Kindler ihnen etwas vorspielte. »Ich fürchte, Ihrer Frau ist etwas zugestoßen«, formulierte er in etwas gestelztem Deutsch.
Kindler erbleichte zusehends. »Was zugschtoße?«, wiederholte er gequält. Er blieb mit offenem Mund vor ihnen stehen, hatte Schwierigkeiten, weitere Worte zu finden. »Was, was soll ihr denn zugschtoße sei?«, wiederholte er dann.
»Fotos«, bohrte Neundorf, »hätten Sie ein paar Fotos von ihr?«
Der Mann benötigte mehrere Sekunden zu begreifen, erwachte dann aus seiner Trance. »Fotos? Aber ja, nadierlich!« Er wuselte überraschend schnell hinter die Theke zurück, zog eine Schublade vor, kramte darin, reichte ihnen eine Papiertüte.
Braig sah das Gesicht sofort. Mariannes Beste prangte auf jeder Breitseite, der Kopf einer freundlich lachenden Frau, Mitte Vierzig, fast lebensgroß darunter. Mit den übel zugerichteten menschlichen Überresten, mit denen er am frühen Morgen in Heilbronn konfrontiert worden war, hatte dieses Gesicht wenig Ähnlichkeit; er benötigte einige Atemzüge, ehe er sich imstande sah, nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Gerade als er die beiden Muttermale rechts oberhalb des Mundansatzes und links von der Nase bemerkt hatte, sah er Neundorfs Fingerzeig. Sie hatte die Tatort-Fotos noch im Amt ausgiebig betrachtet, die kleinen dunklen Punkte ebenfalls registriert. Es gab keine Zweifel mehr, um wen es sich bei der Toten handelte. Er nickte ihr lautlos zu, richtete sein Augenmerk wieder auf den Mann hinter der Theke.
Kindler starrte besorgt zu ihm her.
»Ihre Frau hatte einen Unfall«, sagte Braig, »heute Nacht.«
Der Mann schien innerhalb von Sekunden zu altern. Seine Miene verlor jede Farbe. »Und?«, hauchte er. Seine Stimme klang kraftlos wie die eines Kranken.
Braig sah Kindlers qualvoll verzerrten Ausdruck, nickte. »Ja, sie ist tot. Mein Beileid,
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