Schwaben-Gier
schoss.
»Sie müssen entschuldigen, ich habe Sie aus den Augen verloren.«
»Kein Wunder bei den vielen Leuten.«
Er schob sich an den beiden Fahrzeugen vorbei, hatte mit einem Mal wieder eine einzigartig anmutige Szenerie vor sich: Rechts der wuchtige Turm, in der Mitte die von blühenden Bäumen eingefassten Tische und Bänke eines Lokals samt dem dazu gehörigen Gebäude, links das von Bäumen gesäumte Bett des Neckars. Nebelfetzen stiegen vom Flussbett hoch, waberten über die Promenade, verdeckten das Eingangsportal der Gaststätte. Braig glaubte nicht richtig zu sehen, als ein Windstoß das feuchte Grau auseinander riss und er für einen kurzen Moment einen Blick auf den Namen des Lokals erhaschte: Hans im Glück. Er rieb sich seine Augen, starrte noch einmal nach vorne. Wirklich Hans im Glück?
»Die Leiche liegt dort vorne. Direkt an der Treppe.«
Die Stimme des uniformierten Beamten holte ihn in die Wirklichkeit zurück.
Er trat an die Uferbefestigung, erreichte die Treppe, die gleich neben der Brücke zum Fluss hinunterführte. Die Luft war frisch, der Nebel schob sich unangenehm unter die Kleidung. Braig hüllte sich in seine Jacke, drückte sich an dem hier geparkten Kombi vorbei, sah den toten Körper auf dem Boden liegen. Das Licht war so grell, dass es in den Augen schmerzte. Er kniff sie zusammen, überlegte, wie oft er dem, was jetzt auf ihn wartete, in den letzten Jahren schon ausgesetzt gewesen war. Zwei-, drei-, vierhundertmal? Er wusste es nicht, wurde von vertrauten Stimmen in die Gegenwart zurückgeholt.
»Hier, das ist der Abdruck.«
Braig sah Lars Rauleder am Rand des Platzes knien. Er zeigte auf einen dunklen Fleck auf dem Boden, machte Helmut Rössle Platz, der die Partie aufmerksam musterte. Die Spurensicherer waren vollkommen in ihre Arbeit vertieft, hatten seine Ankunft nicht wahrgenommen.
»Was für ein Abdruck?«, fragte er laut.
Die beiden Männer sahen auf, warfen ihm einen kurzen Gruß zu. »Die Tote«, erklärte Rauleder, »sie wurde mit einem Auto hierher transportiert und am oberen Ende der Treppe abgelegt. Der Fahrer raste mit hohem Tempo wieder los. Hier sind die Reifenspuren. Vielleicht können wir was damit anfangen.«
»Mit hohem Tempo? Woher willst du das wissen?«
»Weil ihn die Kerle, die uf die Leiche gstoße sind, wahrscheinlich überrascht hent«, knurrte Helmut Rössle.
»Den Täter?«
Rauleder streckte seine Arme von sich, legte die Stirn in Falten. »Wenn wir das wüssten! Du musst mit ihnen reden, vielleicht hilft es weiter.«
Braig hatte Schwierigkeiten, die Zusammenhänge zu verstehen, verzichtete vorerst aber auf weitere Fragen, weil er die Blicke zweier ihm unbekannter Leute auf sich gerichtet sah. Eine etwa vierzigjährige, mit einem dicken, roten Anorak bekleidete Frau und ein kaum älterer, uniformierter Beamter standen unmittelbar vor der Leiche.
Er stellte sich vor und erfuhr, dass es sich um die Ärztin, Frau Dr. Ulmer und den Kollegen Bauer vom örtlichen Revier handelte. »Sie haben die Tote bereits untersucht?«, fragte Braig.
Dr. Ulmer nickte. »Sie war längst tot, als sie hier abgelegt wurde, das lässt sich ohne Zweifel sagen. Sieben, acht Stunden, schätze ich. Es gibt keinerlei Blutspuren. Aber es muss ein schrecklicher Tod gewesen sein. Unfassbar, was der Täter ihr alles angetan hat. Das habe ich in all meinen Jahren als Ärztin noch nie gesehen.« Sie klang verschnupft, zog mehrfach die Nase hoch, bevor sie weitersprach, drehte sich schließlich zur Seite, um in ein Taschentuch zu schnäuzen.
Braig sah, dass sie am ganzen Leib zitterte. »Warum tun Sie sich das an?«, fragte er. »Sie gehören ins Bett.«
Die Ärztin winkte mit der rechten Hand ab, wies auf die Leiche. »Dagegen sind meine Beschwerden harmlos.«
Er wunderte sich über die Absurdität des Vergleichs, wandte sich der toten Frau zu. Der Anblick traf ihn ins Mark. So viele Ermordete er schon gesehen hatte, diesen Anblick würde er nicht so schnell aus seinem Gedächtnis löschen können. Die Frau war vor ihrem Tod übel zugerichtet worden. Hämatome auf Stirn und Wangen, Hautabschürfungen am Kinn und auf der Nase und über alldem verzerrte Gesichtszüge voller Pein und Qual. Ein Alter zu schätzen, war fast unmöglich, irgendwo zwischen dreißig und sechzig, er wagte es nicht zu beurteilen. Sie war mit einer leichten hellen Bluse bekleidet, viel zu dünn für diese niedrigen Temperaturen, aber Probleme dieser Art waren für sie endgültig passé.
»Ihr
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