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Schwaben-Wahn

Schwaben-Wahn

Titel: Schwaben-Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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spreche sie über ihre eigene Biografie. Und das nur wenige Minuten nachdem sie mit der Botschaft von der Ermordung ihres Mannes überrascht worden war. Überrascht, überlegte er, wirklich überrascht?
    Er schaute zu ihr hinüber, musterte ihr Gesicht, die Art und Weise, wie sie sich bewegte und um sich sah. Selbstbewusstsein prägte ihr Gehabe, nicht einen Deut weniger als zuvor, als sie über den Tod ihres Mannes noch nicht informiert gewesen war. Keine Spur, nicht ein Hauch persönlicher Betroffenheit. Oder musste er die Angelegenheit anders sehen? War ihre kalte Sachlichkeit, die zumindest in der jetzigen Situation doch wohl abnormale, weitgehend von Emotionen jeder Art freie Gelassenheit darauf zurückzuführen, dass sie längst über seinen Tod Bescheid wusste, weshalb auch immer?
    Er versuchte, die Frau nicht aus den Augen zu lassen, um ein möglicherweise verdächtiges Verhalten nicht zu übersehen, schielte dennoch zu seiner Kollegin hinüber. Neundorfs Blick zeigte deutlich Skepsis.
    »Sie haben keine Kinder?«, fragte die Kommissarin.
    »Zum Glück nicht, nein«, antwortete Stefanie Herzog, fügte dann erklärend hinzu: »Das wäre nichts geworden. Wir sind beide keine Glucken, die übermäßig Liebe verteilen können.«
    Braig fragte sich, woher sich die Frau dessen so sicher war und ob das Dasein als Vater oder Mutter nicht eine Existenzform war, zu der man nicht geboren wurde, sondern in die man hineinwuchs, sobald Kinder da waren, die nach Schutz und Zuwendung verlangten. Gelegenheit macht Liebe, sozusagen. Er sah jedoch davon ab, diese Frage zu stellen, weil sie wohl kaum zur Klärung des Falles beigetragen hätte. »Sie sind beide berufstätig?«, warf er stattdessen ein.
    »Mit Begeisterung, ja«, sagte die Frau. »Zumindest was meine Person angeht.«
    »Darf ich fragen, in welcher Branche Sie tätig sind?«
    »Wenn es Ihren Ermittlungen dient, gerne.« Der kritische Unterton ihrer Stimme war nicht zu überhören. Ihre Antwort ließ dennoch nicht lange auf sich warten. »Ich bin Historikerin. Seit einigen Jahren habe ich mich auf schwäbische Geschichte spezialisiert. Freiheitsbewegungen und Unterdrückung in der schwäbischen Historie, um es genauer zu sagen. Da gibt es eine Menge aufzuarbeiten. Ich veröffentliche Artikel zu diesem Thema in Zeitungen und Fachzeitschriften.«
    »Das klingt interessant«, sagte er, »und davon können Sie leben?«
    »Davon kann ich leben. In der Tat«, bestätigte sie. »Seit sechs Jahren jetzt schon. Zugegeben: Vorher ernährte mich der Staat. Als Gymnasiallehrerin. Aber irgendwann reichte mir die nervliche Belastung. Leben muss auch mal sein. Und das geht so gar nicht schlecht.« Sie betonte die letzten Worte, sah überlegen lächelnd, fast triumphierend zu ihm hinüber.
    Braig spürte, dass er zu weit gegangen war, erkundigte sich nach dem Beruf ihres Mannes.
    »Karl ist Psychologe.«
    Neundorf pfiff durch die Zähne. »Das klingt interessant. Sie scheinen beide privilegiert, was die Wahl ihrer Berufe anbetrifft.«
    »Privilegiert? Ich weiß nicht, ob Sie das richtig sehen«, erwiderte Stefanie Herzog. »Oft verbergen sich banale Nichtigkeiten unter wohltönenden Überschriften. Psychologie. Sie denken an Freud, C. G. Jung, die unergründlichen Dimensionen unseres Unterbewusstseins, Traumdeutung, archaische Symbolik? Nein, das ist nicht der Alltag. Der läuft auf einer anderen Ebene, wie so vieles im Leben. Karl entwickelt Verkaufsstrategien, Fallbeispiele für überzeugendes Auftreten im Vertrieb. ›Mit welcher Masche drehe ich auch noch dem letzten Idioten eine Luxuskarrosse an, obwohl der ein Fahrrad kaufen will?‹ Sie schauen ernüchtert, wie? Genauso ist er, sein Job. Banal und frustrierend.« Sie schüttelte den Kopf. »Nichts von der Faszination, die Sie vermuten.«
    »Er hat eine eigene Praxis?«
    »Praxis? Ja, so nennt er das. Pro forma, ja. De facto arbeitet er seit mehreren Jahren für denselben Auftraggeber: Daimler. Das hat sich so ergeben. Schulung der Außendienst-Mitarbeiter und Vermittlung der die Firma charakterisierenden Corporate Identity. Ich glaube nicht, dass er besonders glücklich damit ist. Aber auf diese Weise verdient er gutes Geld und kommt viel in der Welt herum. Ich denke nicht, dass sich in den letzten Jahren viel daran geändert hat. Sie müssen seine Mutter fragen.«
    »Hat Ihr Mann Feinde?« Neundorf rutschte auf dem Sofa hin und her, beeilte sich, ihre Fragestellung zu begründen. »Ich muss Sie bitten, sich Ihre Antwort gut

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