Schwaben-Wahn
fahren durften, hat einer von denen ihn demonstrativ in seinem Wagen ermordet?«
Braig schaute überrascht zu ihr hoch. Diese Verbindung war ihm bisher noch nicht gekommen. Weil Herzog in seinen Gutachten zu einem Ergebnis kam, das ein verantwortliches Verhalten als motorisierter Verkehrsteilnehmer infrage stellte und weiterhin unkontrollierten Alkohol- oder Drogengenuss befürchten ließ, den Untersuchten somit für eine bestimmte Zeit vom Steuer eines Fahrzeugs fernhielt, hatte er sich dessen Wut zugezogen, eine Wut, die so fürchterlich war, dass sie jetzt sein Leben gekostet hatte? Sollte darin die Ursache des Verbrechens liegen? Rache für den Führerscheinentzug?
»Ist Ihnen klar, was ein Dasein ohne Führerschein für viele Männer in dieser Gesellschaft bedeutet?« Stefanie Herzog wandte den Blick vom Fenster weg, setzte sich wieder auf das Sofa. »Verzeihen Sie, dass ich es so deutlich formuliere, aber ich finde keinen passenderen Ausdruck: Es kommt einer Kastration gleich. Ihr Heiligtum, ihr Ein und Alles wurde ihnen entwendet.«
Neundorf musterte die Frau mit kritischem Blick, musste aber zustimmen. »Ich fürchte, Sie haben Recht. Intellektuell nur notdürftig ausgestattete Exemplare dieser Gattung gibt es bei uns in der Tat zur Genüge. Ob wir in diesem Bereich die Hintergründe für den Tod Ihres Mannes finden, ist aber eine andere Frage.«
Ihr Gegenüber wischte sich die Haare aus der Stirn. »Wissen Sie, wozu Menschen, die den einzigen Sinn ihres Lebens verloren haben, fähig sind?«
»Vielleicht wollte sie nur von sich selbst ablenken, uns bewusst auf eine andere Spur bringen, um die eigene Verantwortung zu verschleiern«, überlegte Braig wenige Minuten später, als sie Sindelfingen verließen, um die Mutter Herzogs in Fellbach aufzusuchen. »Mit dieser doch etwas gewagten Verbindung
Führerscheinentzug – Tod im Auto
brachte sie uns jedenfalls clever auf andere Gedanken.«
»Ist die Verbindung wirklich so gewagt?«, fragte Neundorf.
Sie hatten sich von Stefanie Herzog verabschiedet, waren von der Frau bis vors Haus begleitet worden.
»Ihre Gefühlskälte beunruhigt mich weit mehr als jede angebliche Bedrohung durch Amok laufende Verkehrsrowdys«, erwiderte Braig. »Hast du schon einmal so eine abgeklärte Reaktion auf die Nachricht vom Tod des Ehepartners erlebt? Wenn sie sich angeblich auch schon vor etlicher Zeit getrennt haben – er war trotzdem jahrelang ihr Lebensgefährte. Und dann dieses seltsame Verhalten. Die Frau war völlig unbeteiligt. Der Tod ihres Mannes interessierte sie nicht die Bohne.«
»Sie lebten in verschiedenen Städten. Von einer Liebesbeziehung zwischen den beiden war schon lange nicht mehr die Rede.«
»Behauptet sie.«
»Das lässt sich nachprüfen. Wir müssen die Mutter des Toten danach fragen, dazu die Freunde.«
»Trotzdem. Menschen von derart ausgeprägter Gefühlskälte machen mir Angst.«
»Ich denke, sie wird erst in ein paar Tagen begreifen, was geschehen ist. Dass sie ihn nie wieder treffen, nie mehr mit ihm sprechen kann. Sie hat es selbst erwähnt.«
»Du glaubst ihr?«
Neundorf runzelte die Stirn. »Ich weiß es nicht. Aber ihre Argumente in Bezug auf die Gefährdung ihres Mannes scheinen mir plausibel. Wir sollten die Männer schnellstmöglich überprüfen. Ob die Frau wirklich unschuldig ist, wird sich erweisen. Einverstanden?«
Braig nickte, nahm sich die Namen vor, die er notiert hatte, rief im Amt an. Gerhard Stöhr versprach, den derzeitigen Aufenthaltsort sowie die etwaige kriminelle Biografie der Männer zu ermitteln und sie ihnen zukommen zu lassen.
Es dauerte keine fünf Minuten, bis er die Stimme des Kollegen wieder am Ohr hatte. Braig war gerade dabei, die Esslingerstraße in Fellbach auf dem Stadtplan zu suchen, als der Rückruf eintraf. »Dieser Zimmermann«, meldete Stöhr sich aufgeregt zu Wort, »den ihr sucht, Zimmermann, Friedrich ...«
»Ja?«, rief Braig. »Was ist mit ihm?«
»Er steht auf der Fahndungsliste. Seit gestern Abend. Tankstellenüberfall in Stuttgart. Die Kollegen identifizierten ihn per DNA-Analyse.«
6. Kapitel
War es Zufall? Oder hatten die beiden Verbrechen miteinander zu tun?
Braig und Neundorf hatten die Nachricht Stöhrs überrascht aufgenommen. »Dieser Zimmermann – es handelt sich genau um den Mann, den wir suchen? Es liegt keine Verwechslung vor?«
Der Kollege hatte die ihm vorliegenden Angaben zur Person wiederholt, Braigs Frage damit eindeutig bejaht.
»Friedrich Zimmermann«,
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