Schwätzen und Schlachten
haben. Mit den Schnäuzen waren natürlich viele andere Karrieren per se unmöglich, was hätten die denn machen sollen, Friseuse? Herrenfriseur vielleicht. Aber der Schnauz war im vereinten Deutschland auch schon lange als totaler Irrtum enttarnt, das wäre keine schöne Visitenkarte gewesen für einen Herrenfriseur. Abgehalfterte Sportler, was machen die so, Masseur vielleicht, Physiotherapeut, aber wenn mir da schon beim Empfang eine Sigrid die Hand zerquetscht und mich aus dem linken Handgelenk heraus auf den Schragen wirft und sich, dann wollen wir mal , die Ärmel hochkrempelt, bin ich lieber sofort wieder gesund, alles paletti, bevor die richtig Hand anlegt. Die sind alle im Einzelhandel gelandet. Interessant wäre es schon, sie nach dem Schinken zu fragen. Vielleicht überreden wir David einmal dazu, der kennt sie noch nicht.
43. Auch die Telekommunikation wird erörtert
Apropos. Sydow schaute auf die Uhr, wo steckt der bloß. So was läuft nicht mehr unter Verspätung. Stanjic kommt einfach nicht.
Genau, apropos. Schlechtes Versteck , wo soll das sein? Hinterm Küken und Kater ? Da ist doch nichts.
Doch, diese drei Stufen hoch, wo die ehemalige Molkerei ewig leer stand. Schlechtes Versteck . Ein netter Laden. Im Schaufenster haben sie ein Bild von einer dieser Stehlampen aus den Fünfzigern, mit diesen riesigen, hässlichen Stoffschirmen. So eine Stehlampe ist auf dem Bild und unten guckt der Rest von einem Mann raus, Beine, Rumpf, nur mit einer Unterhose bekleidet, den Kopf im Lampenschirm versteckt, vermutlich, weil er der Liebhaber von der Frau ist, deren Mann zu früh nach Hause kommt. Schlechtes Versteck. So heißt das Café.
Glaser lachte, und du meinst, Stanjic steckt dort unterm Lampenschirm? Zuzutrauen wärs ihm.
Oder, überlegte Sydow, nimmt er die Abkürzung über Polen? Möglich wärs. Aber vielleicht hast du ihm so in Andeutungen schon was von deiner dicken Cousine –
Sie ist nicht dick.
Von der mordsdicken Cousine mit den Backen wie Wassermelonen, vielleicht hast du ihm von der schon was erzählt, sodass er nur noch mit Schnauz aus dem Haus geht, als ehemalige Kugelstoßerin verkleidet, nur noch über Polen den Weg zum Bäcker nimmt und im Noch Schöner die Tage umbringt, rumbringt natürlich. Schnauz, sagte er vor sich hin. Trägt eigentlich kein Mensch mehr, aber in Polen haben sie ihm eingeredet, das sei todschick. Stanjic kann man jeden Blödsinn einreden und er denkt, es ist todschick. Er wird deine Weltmusik mögen, du musst sie ihm nur angemessen schmackhaft machen.
Sydow ging in den Flur, stopfte das Lexikon in den Rucksack und warf ihn über seine Schulter Er ging zum Sofa, ließ sich auf die Knie hinab und äugte darunter. Kein Notenständer, sagte er, verstehe ich nicht. Er legte sich auf den Bauch, rutschte mit dem Kopf nach vorn bis zur Sofakante und tappte mit der rechten Hand unter die Polster, zog das Telefon hervor. Was macht denn das Telefon unter deinem Sofa?
Einen Ausflug.
Sydow betrachtete das Telefon, einen Seniorenausflug nehme ich an. Dieses Telefon stammt meiner Meinung nach aus der Zeit vor der Erfindung der Telekommunikation. Es war damals in einer Identitätskrise, wer bin ich?, hat es sich ängstlich gefragt, woher komme ich? Wohin gehe ich? Es hat auf alles keine Antwort gewusst und hat sich zur Selbstfindung unters Sofa zurückgezogen. Es hat die winzig kurze Zeit, in der es mal modern gewesen wäre, verpasst, ist einfach dageblieben. Wenn es nach draußen gelinst hat, hat es Telefone gesehen, die hätte es sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Telefone, die es beim besten Willen nicht mit sich in Verbindung gebracht hätte. Es hat Telefone kommen und gehen sehen und ist darob alt geworden und bleibt jetzt auch zum Sterben unter dem Sofa verborgen. Vielleicht ist unter deinem Sofa der Telefonfriedhof und alle Telefone aus der ganzen Welt –
Ja. Genauso ist es. Glaser hatte sich wieder auf den Stuhl gesetzt, blätterte in den Noten und nahm das Cello zwischen die Beine. Er strich über die Saiten, es klang grässlich.
Ein Telefonfriedhof, wiederholte Sydow. Sie kommen aus der ganzen Welt. Aber vielleicht telefoniert es doch einmal mit mir zusammen? Damit es das auch mal ausprobiert hat im Leben. Er klemmte sich mühsam den Hörer an dem Schal vorbei ans Ohr und drehte eine Nummer in die Scheibe. Er wälzte sich auf den Rücken, lag ungemütlich auf dem Rucksack und schaute an die Decke, lauschte.
Durch dein Telefon klingt ein
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