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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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er.
    Vergiss es, sagte Sydow.
    Stanjic stand auf und holte sich eine Zeitung, schlug sie auf. Von mir aus, sagte er, er lehnte sich zurück, hielt sich die Zeitung vors Gesicht, aber ohne mich.
     
    Man kann nicht sagen, dass Stanjic nicht eine gewisse Entwicklung genommen hätte. Ich habe in meinem letzten Bericht, Verlangen nach Drachen, einen, wie ich finde, ganz gelungenen Einblick in Stanjics Charakter gegeben. Sicher, er war immer ein smarter Typ. Aber so wahnsinnig schlapp! Doch Gott sei Dank: Die Krise weckt im Menschen oft die erstaunlichsten Fähigkeiten und er, in seiner gebeutelten Heimat nun keineswegs als Vielredner, als eloquenter Sprachjongleur bekannt, erkletterte hier in der Fremde hurtig die Höhen des eifrigen Schwätzens, hatte er bis anhin eher schwermütig das Schicksal über sich entscheiden lassen, griff er neuerdings kurzerhand hinein ins Geschehen, tunkte wacker seine Hände in die Ponderabilien und nahm beherzt den Faden an sich. Man muss allerdings anmerken: Hätte er nicht das Lebensruder endlich an sich gerissen, er wäre mit zweien wie Sydow und Glaser innerhalb kürzester Zeit ganz einfach auf der Strecke geblieben, wäre untergegangen wie ein Sack Kartoffeln im weiten Ozean, und fragen Sie nicht, wie der dorthin gekommen ist.
    Also, für ihn mag es ein wichtiger Schritt sein in puncto Autonomie und Selbstbestimmung, für alle anderen, die auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind, wenn einer erst mal so richtig in Fahrt kommt, für die unter uns, die, gleich mir, in völligem Unvermögen, einen gewaltigen Redeschwall zum Stoppen zu bringen, sitzen bleiben wie erschlagen, für uns alle geht hier die Sache weiter. Oder, wie Sydow sagen würde, apropos Wetter.
    Wieso Wetter, sagen wir, haben wir was verpasst?
     
    Kann schon sein, sagte Sydow, also: Das Wetter blieb, wie es war, wieso auch nicht. Deutschland hatte so seine üblichen Probleme, wie immer rang es mit seiner Identität, Europa, die üblichen Schwierigkeiten, die Gurken zu krumm, der Euro zu schwach und alte Tomatensorten hatten keine Chance, usw.
    Auch der Weltraum hatte, wie man sehen konnte, so seine Probleme, er blätterte sich durch. Wirtschaft, es ging bergauf oder bergab, es wurde gewarnt, es wurde prophezeit, Manager erörterten ihre jährlichen Haushaltsausgaben und kamen zu dem Schluss: Ja, 30 Millionen Lohn sind gerechtfertigt, Sydow ging über zum Sport: Die einen rannten einem Ball hinterdrein, die andern stopften ihn in ein Netz, wieder andere droschen auf ihn ein, schlugen ihn mit fantasievollen Geräten über Platten und Plätze und in Löcher, es schien der Ball dem Sport so einige Probleme zu machen, aber man kämpfte unverdrossen.
    Berlin: Bei den Schnellbahnen der öffentlichen Verkehrsbetriebe gingen während der Fahrt die Türen auf, Reisende fielen hinaus, die Türen gingen wieder zu. Die Vorsitzenden der öffentlichen Verkehrsbetriebe sagten, sie könnten sich das auch nicht erklären.
    Vermischtes: Das Amt für Statistik rechnete vor, es seien im letzten Jahr rund 20   000 Kinder weniger auf die Welt gekommen als im Jahr davor und damit wiederum nur halb so viele wie vor 50 Jahren. Das liege, vermuteten Experten, zum einen daran, dass Frauen weniger Babys bekämen.
    Das liege, er las den Artikel ganz langsam und sorgfältig noch einmal, vermuteten Experten, zum einen daran, dass Frauen weniger Babys bekämen. Er blätterte eine Seite vor, blätterte zurück, hm, sagte er nachdenklich. Er nahm die Brille ab und begann sie in seinem Pullover zu reiben. Er schaute mit der vermeintlichen Konzentriertheit der Kurzsichtigen in die Kuchenvitrinen, putzte sehr gründlich seine Brille, was, wie er feststellen musste, als er sie wieder aufsetzte, wirklich nichts besser machte, es war ein Wollpullover.
    Auch die Misere beim Kindermachen hatte sich dadurch komischerweise nicht verändert, was ihn, angesichts der Logik des Artikels, eigentlich wunderte.
    Zum einen, sagte er, zum andern, er nahm die Brille wieder ab, hauchte sie an und zog sein Unterhemd aus der Hose, polierte an den Gläsern und schaute konzentriert die Schokoladenkuchen an.
    Anna kam schon wieder mit einem neuen Tablett aus der Küche, lauter Schokoladenkuchen, sie öffnete die Vitrine und holte eine der leeren Tortenplatten heraus, hallo Frederik, sagte sie.
    Anna? Er drehte den Kopf, kniff die Augen zusammen, bist dus? Er ging nah an sie heran, hallo Anna.
    Anna – sie heißt im Nachnamen übrigens Snozzi, aber sie trägt es mit Fassung –

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