Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
1. KAPITEL
A n einem Sonntag spät im August fuhr ein schwarzer Mercedes G mit Kölner Kennzeichen die Landstraße hinauf, die von Buchfeld, das unten im Tal des Flüßchens Altwasser lag, zu den Eifeldörfern Jünkersdorf und Bühlingen und dann weiter Richtung Trier führte. Am Ortseingang von Jünkersdorf bog der schwere Geländewagen nach rechts in einen unbefestigten Waldweg ein. Schwankend rumpelte er durch die Fahrspuren des Weges, vorbei an einer alten, inzwischen stark zugewachsenen Fischteichanlage, dann wieder durch lichten Buchenwald.
Vor einer südöstlich des Dachsberges idyllisch am Rand einer kleinen Lichtung gelegenen Jagdhütte stoppte das hochbeinige Gefährt. Ein sehr großer und kräftiger Mann mit schütteren roten Haaren stieg aus, nahm einen Aktenkoffer und einen Bergsteigerrucksack vom Rücksitz und ging in die Hütte. Er betrat den einfach und rustikal eingerichteten Wohnraum, stellte den Rucksack neben das Bett, den Aktenkoffer auf den Tisch vor dem Fenster. Sein leichtes Sommerjackett zog er aus und hängte es über einen Stuhl, dann legte er das Schulterhalfter mit der Pistole ab und öffnete den Aktenkoffer, entnahm ihm ein
Einweg-Spritzbesteck, einen Armriemen aus Gummi und eine Plastikampulle. Er legte diese Dinge auf das kleine Nachtschränkchen, nahm sein Handy, setzte sich auf das Bett und tippte eine Nummer in die Tastatur.
„Dr. Roloff? Gablenz hier“, meldete er sich. „Ich bin in der Eifel eingetroffen und nehme jetzt die Injektion vor. Dann beginne ich mit den Tests im Wildpark. Ich melde mich morgen abend bei Ihnen und gebe einen ersten Bericht. War Kettler sehr verärgert?“
„Letztlich treffe ich die Entscheidungen, nicht er“, sagte die kühle Stimme am anderen Ende der Leitung. „Aber man muß auch seinen Standpunkt verstehen. Er ist für die Sicherheit verantwortlich. Daher hätte er es vorgezogen, wenn das Experiment unter kontrollierten Bedingungen hier in Ihrem Labor stattfände. Aber Sie sind der verantwortliche Projektleiter. Sie müssen selbst entscheiden, wie und wo Sie am besten arbeiten können.“
Gablenz nickte befriedigt mit dem Kopf. „Ja. Kettler kann ganz beruhigt sein. Alles wird optimal verlaufen.“
„Natürlich. Ich habe volles Vertrauen in Ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten.“
„Sagen Sie Professor Schlei, daß er sich keine
Sorgen machen muß. Sie wissen ja, wie er ist.“
„Allerdings. Gut, ich sage es ihm, wenn Sie es wünschen.“
Nach einem militärisch knapp klingenden Aschiedsgruß unterbrach Gablenz die Verbindung, zog sich Schuhe und Oberhemd aus, lehnte das Kopfkissen gegen die Bretterwand der Hütte, so daß er aufrecht im Bett sitzen konnte, nahm die Spritze, durchstach mit der Nadel den Verschluß der Ampulle und zog die Spritze auf. Dann legte er sie auf das Nachtschränkchen und band sich den Riemen um den linken Oberarm. Er klebte ein Pflaster über die Spritze, stach in die Vene, fixierte die Spritze mit dem Pflaster auf seinem Arm, drückte leicht auf den Spritzkolben, löste den Riemen und preßte die Flüssigkeit aus der Spritze langsam und gleichmäßig in seinen Blutkreislauf.
Als der Kolben leer war, zog er die Nadel heraus, legte die Spritze auf den Tisch zurück und klebte ein kleines Pflaster auf die Einstichstelle, an der sich eine rote, an einen Mückenstich erinnernde Schwellung bildete. Dann lehnte er sich zurück und schloß die Augen. Er fühlte sich sehr ruhig, empfand lediglich ein leichtes Prickeln wie vor einem Jagdausflug in die Wildnis oder einer schwierigen Bergtour. Sein Bergsteigerrucksack enthielt Verpflegung und Ersatzkleidung für mehrere Tage. Anfangs war er unentschlossen gewesen, ob er seine Pistole mitnehmen sollte, doch nun erschien ihm die Entscheidung vernünftig. Es war gut, sich gegen alle Eventualitäten abzusichern. Immerhin unterlag seine Arbeit der Geheimhaltung, und die
biotechnologischen Forschungen, die GENOTEC in Köln betrieb, waren eine hochsensible Angelegenheit.
Er fühlte sich körperlich hervorragend, während die
injizierte Substanz durch sein Herz ins Gehirn gepumpt wurde. Sich aufs Bett zu legen stellte eine eigentlich überflüssige Vorsichtsmaßnahme dar. Der Juckreiz an der Injektionsstelle, eine völlig normale Reaktion, ließ bereits nach. Er hatte die genetische Trägersubstanz in den letzten Monaten gründlich modifiziert und war absolut sicher, die bei Conrad und Scholl aufgetretenen negativen Effekte nun völlig eliminiert zu haben. Dieses
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